Work-Life-Balance – Problem oder Lösung?

Analyse eines unsinnigen Ausdrucks

An sich ist der Begriff der Work-Life-Balance längst entlarvt als Ausdruck des schwierigen Verhältnisses vieler Menschen zu ihrer Arbeit. Er beschreibt eher das Problem als die Lösung dessen, was er zu lösen vorgibt. Der Ausdruck Work-Life Balance impliziert, dass eine Balance zwischen der Arbeit und dem Leben erreicht werden sollte. Damit ist Arbeit nicht mehr Teil des Lebens. Vorzuziehen wäre die Formulierung Balanced Life. Dieses berücksichtigt alle Bedürfnisse eines Menschen angemessen. Es schafft damit den Ausgleich zwischen den verschiedenen Lebensbereichen, von denen Arbeit ein wichtiger Teil ist. Was zeichnet nun die Balance zwischen den verschiedenen Lebensbereichen aus? Wieviel Arbeit darf es denn sein, damit das Leben noch in Balance ist? Ich vermute, dass viele Menschen eine etwas einseitige Zuschreibung von Eigenschaften an zwei Bereiche vornehmen. Dabei steht Arbeit für Anstrengung und Mühsal. Sie wird daher eher negativ wahrgenommen. Die Nicht-Arbeit oder Freizeit steht für das Angenehme, das Positive.

Wie schaffe ich meine eigene Work-Life-Balance?

Natürlich braucht es für einen guten Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Anspannung und Entspannung. Ein Ungleichgewicht über längere Zeit wirkt sich negativ auf das psychische Wohlbefinden und die Gesundheit aus. Nichtdestotrotz habe das Gefühl, dass viele Menschen in der Freizeit Erfahrungen kompensieren, die sie bei der Arbeit nicht (mehr) finden. Der Grund liegt darin, dass ihnen ihre Arbeit nicht gefällt. Wobei mir Spass als oft genannte Voraussetzung für eine befriedigende Arbeit nicht angemessen scheint. Arbeit kann durchaus anstrengend und fordernd sein. Also nicht das, was wir unter Spass verstehen. Und gleichzeitig kann sie Freude bereiten und Erfüllung bringen. Wir verbringen mindestens einen Drittel unseres Tages bei der Arbeit. Daher lohnt es sich, eine Tätigkeit auszuüben, die Freude macht. Sonst ist auch mit noch so viel Freizeit das Leben nicht in Balance zu bringen. Voraussetzung ist allerdings, dass wir einen Beruf ausüben, der auf unseren Bedürfnissen basiert.

Verantwortung – unerlässlich im Coaching

Unterscheidung von Schuld

Verantwortung geniesst im Coaching einen hohen Stellenwert; sie ist eigentlich eine Voraussetzung dafür. Kundinnen und Kunden übernehmen Verantwortung für ihre aktuelle Situation. Dabei spielt keine Rolle, wer alles an deren Entstehung beteiligt war. Es gilt dabei zwischen Verantwortung und Schuld zu unterscheiden. Die Kundinnen und Kunden entscheiden sich dafür, auf eine bestimmte Situation zu antworten, auch wenn aus einer gängigen Betrachtung von Verursachung oder Schuld geradesogut eine andere Person darauf antworten könnte. Im Coaching geht es also darum, den eigenen Anteil an der Situation anzuerkennen und etwas daran zu ändern. Diese Vorgehensweise steht im Gegensatz zum Verhalten von Menschen, die darauf wartet, dass andere etwas unternehmen. Oder sie warten ab, ob sich die Situation von selbst verbessert. Durch die Übernahme von Verantwortung verabschieden sich Menschen aus einer Opferrolle. Sie fühlen sich selbstwirksam und mächtig im wahrsten Sinne des Wortes. Dies bringt wirkliche Veränderung und stärkt auch ihr Selbstbewusstsein.

Wann soll ich Verantwortung übernehmen?

Es ist aber nicht immer angezeigt, Verantwortung zu übernehmen. Gerne illustriere ich dies anhand von zwei Situationen, denen ich oft im Coaching begegne. In der ersten Situation leiden Mitarbeitende unter Führungsdefiziten ihrer Vorgesetzten. Sie erwarten, dass diese sich anders verhalten. Diese Erwartung ist verständlich, aber unrealistisch. In dieser Konstellation rate ich den Coachees, Verantwortung zu übernehmen. Durch eigene Verhaltensänderung können sie das Verhalten der Vorgesetzten beeinflussen und damit ihre Situation verbessern. In der zweiten Konstellation nehmen Vorgesetzten ihre Aufgaben nicht vollumfänglich wahr. Verantwortungsbewusste Mitarbeitende springen dann in die Lücke. Sie übernehmen unaufgefordert Zusatzaufgaben ausserhalb ihres Pflichtenhefts, oft ohne es zu merken. In dieser Situation rate ich davon ab, Verantwortung zu übernehmen. Denn es ist oft ein Grund für Burnout, wenn Mitarbeitende Aufgaben übernehmen, für die sie nicht die Positionsmacht haben und für die sie bei Erfolg keine Anerkennung erhalten. Zudem schützen sie damit schwache Vorgesetzte.

Training – Veränderung von Gewohnheiten

Vor allem bekannt aus dem Sport

Der Begriff Training ist uns aus dem Sport geläufig. Er steht für alle Prozesse, die eine verändernde Wirkung hervorrufen. Systematisches Training zielt darauf ab, langfristig stabile Anpassungserscheinungen, d.h. Trainings-Effekte zu erzielen. Diese entstehen beim Menschen durch die Verarbeitung von Reizen. Im Sport geht es darum, optimierte Bewegungsabläufe durch vielfache Wiederholungen zu einer neuen Gewohnheit zu machen. Im Coaching gilt das gleiche Prinzip in Bezug auf das Verhalten von Kundinnen und Kunden in bestimmten Situationen. Wir Menschen eignen uns Gewohnheiten an, weil sie unseren Alltag erleichtern. Sie können aber die Bewältigung von Herausforderungen verhindern, für die ein anderes Verhalten notwendig wäre. Wenn wir Verhalten verändern wollen, müssen wir die Notwendigkeit dazu erkennen und optimierte Verhaltensweisen entwickeln. Dies ist die Aufgabe im Coaching. Eine langfristige Veränderung der Gewohnheiten ist aber nur durch konsequentes Training zu erreichen. Durch wiederholte Anwendung kann das angepasste Verhalten sich zu einer neuen Gewohnheit entwickeln.

Training am Beispiel des Emotionsmanagements

Sehen wir uns Training am Beispiel des Emotionsmanagements an. Dies ist in häufiges Coaching-Thema. Wenn zum Beispiel jemand in bestimmten Situationen unangemessen wütend reagiert, belastet dies die Beziehungen zu seinen Mitmenschen. Im Coaching kann der Betroffene zum einen erkennen, dass die Reaktion unangemessen ist. Andererseits wird ihm bewusst, in welchen Situationen er zu diesem Verhalten neigt. Und er wird seine Reaktionsweise als Verhaltensgewohnheit erkennen, die durch bestimmte Trigger ausgelöst wird. Um sich künftig anders zu verhalten, erarbeitet er mit dem Coach eine Strategie. Er bereitet sich darauf vor, in entsprechenden Situationen anders zu reagieren. Anfänglich muss er dies sehr bewusst tun, um den eingespielten Reiz-Reaktionsmechanismus zu durchbrechen. Mit genügendem Training, d.h. nach vielen Wiederholungen, kann er das neue Verhalten problemlos abrufen. Leider geben viele Menschen auf, wenn sie zwischendurch wieder in altes Verhalten zurückfallen. Dies lässt sich praktisch nicht verhindern. Da hilft wie beim Sport nur Durchhaltewillen und Disziplin.

Systemisches Coaching

Grundlagen

Systemisches Coaching hat seine Wurzeln in der Familientherapie. Sie geht davon aus, dass das Verhalten einzelner Familienmitglieder nur im Kontext des Familiensystems zu verstehen ist. Übertragen auf das systemische Coaching können wir das Verhalten einer Person nur im Zusammenhang mit seinem Umfeld, z.B. dem Unternehmen oder der Abteilung nachvollziehen. Menschen verhalten sich je nach Kontext unterschiedlich und zeigen andere Seiten ihrer Persönlichkeit. Systemisches Coaching geht davon aus, dass wir Situationen kurzfristig als gegeben annehmen müssen. Veränderung findet damit nicht beim Umfeld und den anderen involvieren Menschen statt. Die einzige Möglichkeit, die Situation zu beeinflussen, liegt bei den Coachee. Durch Änderung von Haltung und Verhaltens schaffen sie neue Rahmenbedingungen für ihr Umfeld. Sie nehmen damit Einfluss auf das Verhalten der Menschen und verändern gleichzeitig das System. Voraussetzung für den Erfolg ist allerdings, dass die Coachee Verantwortung für ihre Situation übernehmen und nicht erwarten, dass die Menschen in ihrem Umfeld sich verändern.

Systemisches Coaching und Persönlichkeit

Die Sache kompliziert sich durch den Umstand, dass Menschen ebenfalls Systeme sind. Wir gehen davon aus, wir sprächen nur mit einer Stimme. Stattdessen sind wir Individuen mit unterschiedlichen, teilweise widersprechenden Neigungen. Zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust. Wenn es nur so einfach wäre. In Wirklichkeit gilt: Ich bin viele. Der deutsche Kommunikationspsychologe Friedeman Schulz von Thun hat mit seinem Konzept des inneren Teams eine schöne Darstellung für diese innere Vielfalt geschaffen. Es geht von den gleichen Grundannahmen wie die Familientherapie aus. Was wir als unsere einheitliche Stimme wahrnehmen und nach außen tragen, ist in Wirklichkeit ein innerer Mehrheitsentscheid unterschiedlicher Teilpersönlichkeiten. Alle stehen für bestimmte persönliche Bedürfnisse. Damit kompliziert sich das Verhältnis von Individuum und Umfeld. In Wirklichkeit stehen sich mehrere Systeme gegenüber. Und genau da setzt Coaching an: Zuerst muss man mit dem inneren System in Reine kommen. Erst dann kann das Zusammenspiel mit dem äusseren System gelingen.

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Stärken – unterschätzte Qualitäten

Was sind Stärken

In der Karriereliteratur wird der Begriff der Stärken regelmässig verwendet. Aber nur wenige Autoren definieren klar, was sie darunter verstehen. Ich verwende eine Definition des Gallup Institutes, wonach Stärken gewohnheitsmässige Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster sind. Es sind die Dinge, die uns leicht der von der Hand gehen. Und genau deswegen sind sie den meisten zu wenig bewusst. Sehen sich Bewerbende in Job-Interviews mit der Frage nach ihnen konfrontiert, fällt es ihnen schwer, sie zu nennen. Dabei zeigen sie sich in unserem Verhalten in bestimmten Situationen. Aber mit zunehmender Routine verhalten wir uns immer unbewusster. Daher erarbeite ich die Stärken mit meinen Kundinnen und Kunden, indem wir deren berufliche und private Vergangenheit untersuchen. Für die Karrieregestaltung sind die Stärken von großer Wichtigkeit und ich empfehle, die Karriere auf ihnen aufzubauen. Damit werden Sie in Ihrem Betätigungsfeld überdurchschnittlich. Und Sie erbringen auch mit zunehmendem Alter noch die volle Leistung.

Relevanz der Stärken im Beruf

Oft werden Stärken auch Soft Skills benannt. Wie die Bezeichnung suggeriert, sind sie schwer fassbar. Viele Menschen betrachten sie daher als weniger relevant als die Hard Skills. Diese zeigen sich konkreter in ihren Auswirkungen. Auch sind sie zertifizierbar in Diplomen und Arbeitszeugnissen. Dadurch werden die Soft Skills stark unterschätzt. Dabei entscheiden sie vor allem bei höher qualifizierten Stellen über den Erfolg. Ob ein Verkäufer die Bedürfnisse des Kunden aufgrund seiner Empathie und seines Beurteilungsvermögens richtig einschätzt, entscheidet über die Gewinnung eines grossen Auftrags. Oder wenn ein Geschäftsführer die richtige Strategie verfolgt, führt er sein Unternehmen zum Erfolg. Die Erfolgsfaktoren dafür waren seine strategischen Fähigkeiten und sein Einschätzungsvermögen. Stärken mögen schwer fassbar sein, deren Auswirkungen zeigen sich aber sehr konkret. Je qualifizierter eine Stelle desto eher sind die Hard Skills Hygienefaktoren. Den Unterschied machen die Soft Skills, also die Stärken.

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Sourcing – die Zukunft der Rekrutierung

Ein fast neues Vorgehen

Sourcing ist ein relativ neues Vorgehen, das in der Personalbeschaffung eingesetzt wird. Der Begriff steht für alle Massnahmen eines Unternehmens, vielversprechende Kandidatinnen und Kandidaten auf dem externen Arbeitsmarkt zu identifizieren. Sourcer – so heissen die Rekrutierungsspezialisten – treten in persönlichen Kontakt mit interessanten Fach- und Führungskräften. Das Ziel kann einerseits sein, eine bestehende Vakanz zu besetzen. Wenn das Unternehmen Strategic Sourcing betreibt, kann es auch den Aufbau von Kontakten anstreben, die erst zu einem späteren Zeitpunkt zu einer Rekrutierung führen. Es geht also darum, sich auf dem Arbeitsmarkt mit gesuchten Spezialistinnen und Spezialisten zu vernetzen. Auf diese Weise können Recruiter bei Bedarf rasch handeln. Diese aktive Vorgehensweise steht traditionellen Methoden der Personalgewinnung wie der Schaltung von Stelleninseraten gegenüber, bei denen Rekrutierende eher passiv auf eingehende Bewerbungen reagieren. Sourcing ist von der Vorgehensweise mit dem Headhunting verwandt. Viele Active Sourcer kommen aus diesem Bereich. Man könnte daher von einem unternehmensinternen Headhunting sprechen.

Sourcing – Die Herausforderung, gefunden zu werden

Unternehmen haben dieses Berufsbild als Antwort auf den Fachkräftemangel geschaffen. Fachspezialistinnen und Fachspezialisten waren immer schwieriger mit den herkömmlichen Instrumenten auf dem offenen Arbeitsmarkt zu finden. Die Sourcer finden ihre Kontakte vor allem auf sozialen Netzwerken. LinkedIn hat sich als das führende Karrierenetzwerk etabliert. Die besten in ihrem Fach sind aber auch auf Kongressen und Tagungen anzutreffen, wo sie persönliche Kontakte aufbauen. Diese Entwicklung in der Rekrutierung beeinflusst auch das Verhalten in der Bewerbung. Viele qualifizierte Stellen werden nur noch auf dem verdeckten Arbeitsmarkt angeboten. Stellensuchende müssen daher sicherstellen, dass Sourcer und Recruiter sie finden. Ein LinkedIn-Profil gehört heute zum Standard für alle qualifizierten Mitarbeitenden. Auch auf dieser Marktseite gehen einige einen Schritt weiter und betreiben Personal Branding. Sie vernetzen sich ebenfalls bereits, bevor sie aktiv auf Stellensuche sind. Denn die besten Stellen für einen nächsten Karriereschritt sind selten gerade dann offen, wenn jemand auf Stellensuche ist.

Soft Skills – Ausdruck der Persönlichkeit

Was sind Soft Skills?

In einem oft zitierten, einfachen Kompetenzmodell sind die Soft Skills soziale und persönliche Kompetenzen, dies in Abgrenzung zu fachlichen und methodischen Kompetenzen. Letztere werden als Hard Skills bezeichnet. Vereinfacht könnte man sagen, die Soft Skills bilden die Persönlichkeit eines Menschen. Ihre Bezeichnung verleitet oft dazu, diese Aspekte in der Karrieregestaltung weniger wichtig zu nehmen. Sie sind schwieriger zu fassen als Hard Skills. Diese können zudem in Arbeitszeugnissen und Diplomen zertifiziert werden, lassen sich also quasi beweisen. Die persönlichen Fähigkeiten zeigen sich vor allem im Verhalten von Menschen in bestimmten Situationen. Wir sind uns dessen allerdings zu wenig bewusst. Zudem gehen wir davon aus, dass unser Verhalten nichts Besonderes ist und andere Menschen in vergleichbaren Situationen gleich agieren. Das ist nicht der Fall. Wenn wir ein Gefühl für unsere Qualitäten entwickeln wollen, müssen wir die Unterschiedlichkeit von Menschen auf der Ebene ihres Verhaltens anerkennen.

Relevanz von Soft Skills im Beruf

Da Soft Skills schwerer fassbar und kommunizierbar sind, konzentrieren sich die Menschen in der Karrieregestaltung zu sehr auf ihre Hard Skills. Auch werden die sozialen und persönlichen Kompetenzen oft etwas belächelt und als weniger professionell betrachtet. Dadurch vernachlässigen viele Menschen das Beste, was sie zu bieten haben. Dabei werden diese Eigenschaften umso wichtiger, je qualifizierter der Job ist. Wenn zum Beispiel eine Führungskraft spürt, dass sich eine wichtige Mitarbeiterin im Team nicht wohlfühlt, kann er Massnahmen ergreifen. Er wird dadurch möglicherweise eine teure Kündigung vermeiden. Eine Managerin mit zwischenmenschlichen Fähigkeiten und Verhandlungsgeschick kann eine strategische Kooperation mit einem anderen Unternehmen eingehen. Sie ist dadurch der Konkurrenz einen Schritt voraus. Je qualifizierter die Stelle, desto mehr werden die Hard Skills zu Hygienefaktoren. Sie sind Voraussetzung, um für eine Stelle in Frage zu kommen. Den Erfolg und damit den Unterschied machen die Soft Skills.

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Selbstbewusstsein – kann man lernen

Glücklich, wer es natürlicherweise hat

Selbstbewusstsein ist die Fähigkeit, die eigenen Stärken und Schwächen zu erkennen, sich ihrer bewusst zu sein. Dies bedeutet auch, darüber sprechen zu können. Selbstbewusstsein ist sehr hilfreich bei der Karrieregestaltung. Denn selbstbewusste Menschen sind ihren selbstkritischeren Zeitgenossen in der Positionierung im Arbeitsleben einen Schritt voraus. Dies wirkt sich bei Bewerbungsgesprächen, aber auch in Salär- und Beförderungsgesprächen positiv aus. Insofern haben nicht alle gleich qualifizierten Mitarbeitenden die gleich guten Karriere-Karten. Warum sind eigentlich nicht alle Menschen von Natur aus selbstbewusst? Der Grund liegt darin, dass wir Dinge mit zunehmender Routine immer automatischer und damit unbewusster tun. Unsere begrenzte Gehirnkapazität muss für Unvorhergesehenes und Neues zur Verfügung stehen. Damit ist es ganz natürlich, dass wir umso unbewusster sind, je mehr Erfahrung wir haben. Dies ist zum Beispiel eine der Herausforderungen, mit denen Stellensuchende 50plus konfrontiert sind. Es gibt aber offensichtlich Menschen, die von Natur selbstbewusster sind als andere.

Alle anderen können Selbstbewusstsein lernen

Die gute Nachricht für alle anderen ist: Sie können Selbstbewusstsein lernen. Als schlechte Nachricht könnte man einwenden, dass es aufwändig ist. Bei Coachee beobachte ich, dass es den selbstbewussten leichtfällt, persönliche Geschichten zu erzählen. Sie tun dies ganz natürlich und beschreiben gleichzeitig, was sie zur erfolgreichen Bewältigung einer Herausforderung beigetragen haben. Selbstbewusstsein zeigt sich also in der Fähigkeit, Geschichten über sich zu erzählen (Storytelling). Dies können auch weniger selbstbewusste Menschen erlernen. In einer Standortbestimmung geht es unter anderem genau darum. Es ist aber mit Disziplin verbunden. Das größte Hindernis ist meistens der Glaubenssatz der weniger selbstbewussten, an diesem Mangel nichts ändern zu können. Ein Trost sei ihnen aber ausgesprochen: Ihre Fähigkeit liegt in der Selbstkritik. Und der Vorteil davon ist, dass sie sich immer weiterentwickeln. Genau da müssen die natürlich selbstbewussten aufpassen. Ihre schwach ausgeprägte Selbstkritik kann sie dazu verleiten, zu wenig in ihre persönliche Weiterentwicklung zu investieren.

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Schwächen – gut sie zu kennen

Warum sind Schwächen relevant?

Neben Stärken sind auch Schwächen Thema in Karrieregestaltung und Bewerbung. Die meisten Menschen bezeichnen damit schwach ausgeprägte Eigenschaften oder Fähigkeiten einer Person. Diese Definition hat einen Nachteil. Ich gehe davon aus, dass Schwächen zur Persönlichkeit gehören und dass wir uns mit ihnen abfinden müssen. Wenn ich nun als persönliche Schwächen bezeichne, was mir nicht so liegt, kann ich daran nichts ändern. Selbstmarketing wird zum Beispiel von vielen als Schwäche bezeichnet. Alle Menschen, die sich nicht so gut verkaufen können, wären bei dieser Definition von einer erfolgreichen Karriere ausgeschlossen. Schwach ausgeprägte Eigenschaften bezeichne ich stattdessen als Herausforderungen, die ich entwickeln kann. Sie werden dadurch vermutlich nie zu besonderen Stärken. Aber ich kann sie soweit entwickeln, dass ich mir selber nicht mehr im Wege stehe. Schwächen hingegen sind für mich übertriebene Stärken, ein Zuviel des Guten. Sie gehören somit zusammen mit den Stärken als Sonnen- und Schattenseite der Persönlichkeit.

Kommunikation der Schwächen

Eine der unbeliebtesten Fragen im Bewerbungsgespräch ist die nach den Schwächen. Die meisten Bewerbenden tut sich schwer damit und beantworten sie ungeschickt. Oft bringen sie auch Aspekte ein, die nicht stellenrelevant sind. Die Aussage, nicht kochen zu können dürfte nur interessieren, wer einen Koch sucht. Bei diesem Vorgehen verpassen Bewerbende die Chance, sich als reflektierte und entwickelte Persönlichkeiten zu präsentieren. Recruiter stellen diese Frage nicht, um Bewerbende zu disqualifizieren. Da alle Menschen Schwachpunkte haben, suchen sie nicht den perfekten Mitarbeiter oder die perfekte Mitarbeiterin. Was Recruiter feststellen wollen ist, ob jemand seine Schwachstellen kennt. Sie wollen zudem von den Bewerbenden Strategien erfahren, wie sie mit ihnen umgehen. Ideal ist, wenn Bewerbende anhand einer konkreten beruflichen Situation aufzeigen, wie sie mit ihren Schwächen erfolgreich umgehen. Nur wer sich mit seiner Persönlichkeit kritisch auseinandergesetzt hat, kann die Frage nach den Schwächen überzeugend beantworten.

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Rolle – ein verkanntes Konzept

Wir alle spielen Rollen

Die Rolle ist ein Konzept aus der Soziologie. Sie beschreibt einerseits die Verhaltensbandbreite der Rollenträgerin/des Rollenträgers in einer bestimmten Situation. Andererseits ist die Rolle Ausdruck der Erwartungen des Umfelds an den Rollenträger. Eine erfolgreiche Rollenbesetzung bringt somit die Definition des Rollenträgers mit den Erwartungen seiner Umgebung in Einklang. Viele Menschen lehnen das Konzept ab, weil sie es mit Schauspielerei und fehlender Authentizität verwechseln. Dabei besetzen wir laufend Rollen, ohne es zu bemerken. Wir sind zum Beispiel Kind unserer Eltern, selber Mutter/Vater unserer Kinder, Freunde/Freundinnen und Bekannte. Und wir zeigen in all diesen Rollen unterschiedliche Aspekte unserer Persönlichkeit. Wenn wir eine Rolle erfolgreich einnehmen, legen wir fest, was wir von uns zeigen und bleiben damit authentisch. Rollen vereinfachen das Gruppengeschehen, indem sie Verhaltenswahrscheinlichkeiten festlegen. Sie begrenzen dadurch Überraschungsmomente im Miteinander. Klar definierte Rollen im Unternehmen vereinfachen somit den Umgang mit Arbeitskolleginnen und -kollegen. Sie bieten Schutz und Sicherheit.

Rolle als Thema im Coaching

In der Unternehmensrealität scheint das Rollen-Konzept an Popularität verloren zu haben. Es werden bewusst Hierarchien aufgebrochen, um die Kommunikation über verschiedene Ebenen zu erleichtern. Neben Vorteilen bringt dieses Vorgehen auch gewichtige Nachteile mit sich. Rollen-Konfusion und unklare Zuständigkeiten belasten Mitarbeitende. Da mit den Rollendefinitionen auch die Verhaltenswahrscheinlichkeiten unklar sind, müssen die Menschen im Arbeitsalltag dauernd ihr Verhältnis mit anderen aushandeln. Sie sind damit mit Abgrenzung und (unbewusster) Rollen-Definition beschäftigt, was ermüdet. Dies sind häufige Themen im Coaching. Zum Beispiel geht es bei Führungskräften oft darum, die Führungsrolle zu bestimmen und ein persönliches Führungsverständnis zu entwickeln. Dies vor allem dann, wenn das Unternehmen der ritualisierten Übertragung der Führungsrolle nicht genügend Beachtung geschenkt hat. Das neue Verständnis gilt es dann intern bei verschiedenen Anspruchsgruppen zu kommunizieren und durchzusetzen. Damit werden die Rollen wieder eingeführt. Eine gute Mischung aus Erneuerung überkommener Konzepte und dem Erhalt von deren positiven Anteilen täte also dringend not.