Die folgende Anekdote dürfte die meistzitierte zum Thema Fehlerkultur sein: Henry Ford hat einen Mitarbeiter, der einen grossen Verlust verursacht hat, entgegen den Empfehlungen von dessen Vorgesetzten nicht entlassen. Dies mit der Begründung, er hätte soeben eine grosse Summe in seine Weiterbildung investiert. Die meisten Menschen identifizieren sich anscheinend mit der generösen Haltung von Henry Ford und weniger mit dem Mitarbeiter. Anders ist mir nicht erklärlich, warum Menschen so ungerne ihre Misserfolgsgeschichten erzählen.
Dabei ergeben Misserfolge oft die beeindruckendsten Erzählungen.
Ein Kunde war Abteilungsleiter in einem Grossunternehmen. Er war bei mir in der Beratung für eine berufliche Standortbestimmung. In der Sitzung, in der wir uns mit Storytelling befassten, war er aufgrund eines schwierigen Workshops vom Vortag deprimiert. Nachdem wir eine beeindruckende Geschichte zutage gefördert hatten, bat er mich, dass wir es für den Moment dabei bewenden liessen. Er fühle sich müde und würde das gerne für sich in Ruhe absetzen lassen.
Gute Geschichten, wo wir sie nicht erwarten
Ich fragte ihn, was ihn an den Erlebnissen des Vortages so bedrücke. Er erzählte mir von dem Workshop, den er im Rahmen eines Change-Projektes zusammen mit einem externen Consultant durchgeführt hatte. Obwohl er nach dem vorgängigen Briefing mit dem Consultant das schlechte Gefühl hatte, dass das vorgeschlagene Vorgehen nicht funktionieren würde, hatte er nichts unternommen. Schliesslich war dies sein erstes Change-Projekt und er traute daher seiner eigenen Einschätzung nicht.
Die Situation im Workshop eskalierte, die Mitarbeitenden reagierten mit Angst und Abwehr. Nur mit Mühe konnte er Schlimmeres verhindern. Mein Kunde verbrachte daraufhin eine schlaflose Nacht. Am nächsten Morgen sagte er alle Termine ab und führte mit den drei wichtigsten Mitarbeitenden lange Einzelgespräche. Damit holte er diese wieder an Bord und die Situation beruhigte sich.
Auf die Erkenntnisse kommt es an
Mein Kunde war irritiert, als ich ihm lächelnd mitteilte, dass er soeben eine weitere Erfolgs-Story zu seiner Geschichtensammlung hinzugefügt hätte. Es zeigten sich darin nämlich besondere Qualitäten: Selbstkritik, rasche Auffassungsgabe, Übernahme von Verantwortung, Kommunikationsgeschick sowie Empathie. Das waren die sichtbaren Erfolge in dieser Geschichte. Das vielleicht wertvollere aber war, was er aus diesem Erlebnis gelernt hatte. Schon einen Tag danach konnte er Fehler entdecken, die ihm nie mehr unterlaufen werden, denn solche schmerzhaften Lektionen sind nachhaltig.
Fürchten Sie sich also nicht, Ihre «Misserfolgsgeschichten» zu erzählen. Dies allerdings unter der Voraussetzung, dass Sie Ihre Lektionen gelernt haben und kommunizieren können. Ihre Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner werden mit Erleichterung zur Kenntnis, dass sie mit diesen bestimmten Fehlern nicht zu rechnen haben werden, wenn sie Sie einstellen.