Storytelling – Haltung oder Technik?

Wer meine Artikel liest, weiss, was für ein Fan von Storytelling ich bin. Ich setze es in Standortbestimmungen für die Stärkung des Selbstbewusstseins meiner Kundinnen und Kunden und im Job-Interviewtraining für die Verbesserung des Selbstmarketings ein. Aber auch beim erfolgreichen Storytelling gilt: Es ist nicht nur Technik, sondern auch Haltung.

Peter Näf

Haben Sie auch schon Menschen beobachtet, nachdem sie ein Seminar für gewaltfreie Kommunikation besucht hatten? Sie kommunizieren dann oft mit konfektionierten, gewaltfreien Sätzen, wirken aber immer noch unterschwellig aggressiv. Warum das? Weil gewaltfreie Kommunikation nicht in erster Linie eine Technik, sondern vor allem eine Haltung ist. Beim Storytelling ist das weit schwieriger zu erkennen.

Selbstbewusste wenden Storytelling automatisch an. Eine Herausforderung stellt es für selbstkritische Menschen dar. Persönliche Geschichten zu erzählen ist für sie anstrengend und die Beschäftigung mit ihren Stärken vielen sogar unangenehm. Trotzdem können alle lernen, Geschichten zu erzählen. Dass es dabei auch um Haltung geht, realisierte ich in der Zusammenarbeit mit einer Kundin.

Haltung setzt sich immer durch

Sofia (Name geändert) war eine Führungskraft und machte bei mir eine berufliche Standortbestimmung. Ein Ziel der Zusammenarbeit war die Verbesserung ihres Selbstmarketings. In unseren Gesprächen zeigte sich, dass sie eine Abneigung dagegen hatte und geradezu allergisch darauf reagierte. Seit Jahren litt sie unter Arbeitskollegen, die sich in aufschneiderischer Weise in den Vordergrund spielten und damit erfolgreich waren.

Beim Üben von Storytelling erzählte Sofia beeindruckende Geschichten, kam dabei aber immer schlecht weg. Unbewusst wendete sie Kommunikationstechniken an, wie ich es oft bei Coachees beobachte: Sie redete ihre Herausforderungen klein. Und da sie in der Wir-Form, zum Teil sogar in der man-Form erzählte, wurde sie in ihren Geschichten nicht sichtbar. Persönliche Entscheidungen blendete sie aus, indem sie dauernd von «müssen» sprach. Ihre negative Haltung zum Selbstmarketing setzte sich also durch in der Art, wie sie ihre Geschichten erzählte.

Der Mensch ist ein geniales Wesen

Ich erläuterte ihr die unbewussten Verschleierungstechniken und bat sie, auf die nächste Sitzung zwei Geschichten vorzubereiten. Beim nächsten Meeting erzählte sie mir wieder eine beeindruckende Geschichte. Alle Verschleierungstechniken vom letzten Mal waren verschwunden und trotzdem fehlte ihrer Erzählung jede Wirkung. Ich war ratlos.

Und auf einmal fiel mir auf, wie sie es schaffte, ihren Schilderungen jedwede Würze zu nehmen: Sie hat zwar alles Wichtige erzählt, es aber in Nebensätze gepackt. Und stattdessen erzählte sie das Unwichtige, Erläuternde in den Hauptsätzen. Sie stellte damit die Deutschregeln auf dem Kopf. Wie sich das anhört? Ungefähr so: «Ich kam in die Küche, wusch das verschmutzte Messer und legte es feinsäuberlich in die Schublade zurück, nachdem ich damit den Nachbarn niedergestochen hatte.»

Natürlich war das nicht die Geschichte meiner Kundin;-) Aber ich war beeindruckt mit welch ausgeklügelter Strategie sich ihre Haltung, ohne dass sie es merkte, in der Kommunikation durchsetzte und versuchte, ihren Coach auszutricksen.

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