Vom Therapeuten und Coach Steve de Shazer stammt die sogenannte Wunderfrage. Es handelt sich dabei um eine wirkungsvolle Fragetechnik, die Coachees dazu anregt, sich eine ideale Zukunft vorzustellen, in der ihre Probleme gelöst sind. Ich stelle eine abgewandelte Form dieser Frage meinen Kundinnen und Kunden in der beruflichen Standortbestimmung. Erstaunlich oft erhalte ich darauf keine Antwort.
«Stellen Sie sich folgendes vor: Ich bin die gute Fee und mache all Ihre Karrierewünsche wahr. Was immer es sei, ich stelle sicher, dass Sie alle dazu benötigten Fähigkeiten besitzen. Versetzten Sie sich in die perfekte Zukunft – was sehen Sie sich beruflich tun?» Mit meinem imaginären, erhobenen Zauberstab warte ich – bis mir der Arm vor Erschöpfung sinkt – keine Antwort.
Auch eine weitere Frage bleibt oft unbeantwortet: «Was haben Sie früher als Kind geantwortet, wenn jemand sie fragte: «Was willst Du denn mal werden, wenn Du gross bist?» Vor alle jüngere Kundinnen und Kunden sagen, sie hätten sich in ihrer Kindheit nie mit dieser Frage auseinandergesetzt und keine Traumjobs gehabt. Gerade bei dieser Generation scheint die Orientierungslosigkeit in Karrierefragen besonders gross.
Mehr Möglichkeiten, weniger Wunder?
Ich erinnere mich, dass dies in meiner Kindheit bei mir und meinen Freunden ein grosses Thema war. Ich hatte viele Ideen für meine berufliche Zukunft: Ich wollte Kunstmaler werden, als Schiffskapitän die ganze Welt bereisen; ich wollte Koch werden und hätte fast eine entsprechende Lehre gemacht. Später wollte ich mein eigenes Café haben und habe mich für diesen Traum so-gar zum Wirt ausbilden lassen. Nichts davon habe ich umgesetzt. Aber jede Fantasie enthielt Aspekte, die ich heute in meinem Beruf wiederfinde.
Träume wollen nicht immer realisiert werden, wie ich im gleichnamigen Artikel gezeigt habe. Aber sie sind eine wichtige Inspirationsquelle für die Gestaltung der Zukunft. Hätte ich mich früher bewusst mit meinen Träumen beschäftigt und als das erkannt, was sie oft sind: Projektionen meiner Wünsche und Bedürfnisse – hätte ich mir einige Umwege in meiner Karriere erspart.
Ohne Ziel keine Zielerreichung
Sind wir in einer so rationalen Welt, dass Träume ihre Berechtigung verloren haben? Haben wir gerade heute, wo wir in unserer Lebensgestaltung so viel mehr Wahlfreiheit haben, das Träumen verlernt?
Träume und Wünsche sind zwar nicht die einzige Möglichkeit, sich und seinen Bedürfnissen auf die Spur zu kommen. Wir können als überzeugte Realisten alles zuerst ausprobieren und danach entscheiden, ob es uns gefällt oder nicht. Im Vergleich dazu aber sind Träume und Wünsche effizient und zeitsparend. Es wird wohl einen Grund geben, warum wir Menschen diese Fähigkeit besitzen.
Schliesslich haben die visionärsten Menschen alles, was sie zustande gebracht haben, zuerst geistig erschaffen und am Anfang stand immer ein Traum. Daher mein Rat: Fangen Sie wieder an zu träumen und zu wünschen und geben Sie arbeitslosen Feen wieder Beschäftigung.