Bronze macht glücklicher als Silber!

Die Psychologen Victoria Medvec und Thomas Gilovich haben ein interessantes Phänomen des kontrafaktischen Denkens beschrieben: Sie haben herausgefunden, dass Bronze-Medaillengewinner häufig glücklicher sind als Silber-Medaillengewinner. Diese Studie lieferte mir eine Erklärung für ein Verhalten, das ich oft bei meinen Coachees beobachte.

Peter Näf

Was ist der Grund für die grössere Zufriedenheit der Drittplatzierten gegenüber den Zweitplatzierten? Die Forschenden stellten fest, dass es auf die Art und Weise ankommt, wie die Medaillengewinner Vergleiche ziehen. Die Silbermedaillengewinnerin vergleicht sich mit der Goldmedaillengewinnerin, sieht, wie knapp sie Gold verfehlt hat und ist entsprechend enttäuscht. Der Bronzemedaillengewinner hingegen zieht den Vergleich zu jenen, die leer ausgegangen sind – und ist entsprechend zufriedener. Und was bedeutet das für meine Coachees, die allesamt nicht im Spitzensport aktiv sind?

Keine Silbermedaille in der Stellenbewerbung

Bei der Stellenbewerbung gibt es zwar nur eine Gewinnerin oder einen Gewinner und Sie mögen einwenden, dass es deshalb sinnlos sei, über den nicht vorhandenen zweiten Platz nachzudenken. Dennoch beobachte bei meinen Coachees, dass sie besonders frustriert sind, wenn sie es bis in die letzte Runde schaffen – und dann doch leer ausgehen. Diese Enttäuschung ist verständlich. Erstaunlich ist jedoch ihr Ausmass, verglichen mit Situationen, in denen sie früher im Bewerbungsprozess ausscheiden. Hier liefert die Studie eine plausible Erklärung.

Trotzdem ist auch der «undankbare» zweite Platz ein Erfolg und sollte Stellensuchenden Mut machen. Denn meist haben sie sich gegen eine Vielzahl ebenfalls hochqualifizierter Mitbewerbender durchgesetzt.

…und doch ist der 2. Platz ein Erfolg!

Wenn Coachees es bis in die Endrunde schaffen, ist das nicht nur ein Zeichen passender Qualifikation, sondern auch dafür, dass sie im Bewerbungsprozess vieles richtig gemacht haben. Für die Moral und das Selbstwertgefühl ist es entscheidend, Absagen richtig zu deuten. Doch viele machen sich Vorwürfe und interpretieren eine Absage als persönliches Scheitern.

Dabei fällt es Recruitern und Hiring Managern oft selbst schwer, eine finale Entscheidung zu treffen. Häufig lässt sich im Nachhinein nicht eindeutig begründen, warum eine bestimmte Kandidatin den Zuschlag erhalten hat. Selbstverständlich wird dann auch eine gefühlsbasierte Entscheidung rational gerechtfertigt – wie ich im Artikel «Homo sapiens? Von wegen!» beschrieben habe.

Manchmal verleitet die Absage auf der Zielgeraden Bewerbende sogar zu gefährlichen Schlussfolgerungen: Ein Kunde hatte das Pech, drei Mal hintereinander als letzter aus dem Prozess auszuscheiden. Danach wollte er sich nicht mehr in seinem bevorzugten Bereich bewerben – überzeugt davon, dort keine Chance zu haben. Eine fatale Fehleinschätzung! Denn kurz darauf fand er genau in diesem Bereich eine Top-Stelle.

Und damit schliesst sich der Kreis mit den Medaillengewinnern aus der Studie: Auch im Sport braucht es oft mehrere Anläufe, bis es endlich mit dem obersten Podestplatz klappt.

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