Eine Karriere wächst nach zwei Seiten

Haben Sie auch schon einen Menschen beneidet, dem anscheinend alles mühelos gelingt? Ich denke, bei dieser Mühelosigkeit handelt es sich bis zu einem gewissen Grad um eine optische Täuschung. Manche Menschen verstehen es, ihre Mühe nicht sichtbar zu machen oder sie nicht als solche wahrzunehmen, da sie diese leichter wegstecken als andere.

Peter Näf

Vor einiger Zeit hat mich eine kleine Neid-Attacke erwischt im Coaching einer jungen Kundin. Sie erzählte mir in der Standortbestimmung, was sie bisher in ihrem Leben gemacht hatte: Sie verfügte über einen beeindruckenden akademischen Werdegang. Daneben hatte sie erfolgreich in unterschiedlichen Funktionen und Branchen gearbeitet. Sie hat sich in den Bereichen Musik und Sport engagiert, z.T. auf Wettbewerbsniveau, und sie pflegte ausgefallene Hobbies. Daneben – lassen Sie es mich hier ausnahmsweise mal erwähnen – sah sie auch noch unverschämt gut aus. Dies alles erzählte sie strahlend und mit einer Leichtigkeit, als sei das alles gar nichts. Diskret schielte ich zwischendurch auf ihren Lebenslauf, um mich zu vergewissern, dass ich mich in ihrem Alter nicht getäuscht hatte.

Und man siehet die im Lichte…

Während sie erzählte, wurde ich resp. mein Selbstwert kleiner und kleiner. Ich fand, entweder sei das Leben furchtbar ungerecht oder ich vollends talentbefreit. Alles, was ich in meinem Leben erreicht hatte, war Resultat von Arbeit und Mühe. Ihr hingegen schien alles völlig mühelos zuzufliegen.

Als sie mir erzählte, dass sie immer wieder unter dem Neid ihres persönlichen Umfeldes leide, ging ich mit meinen Fragen in die Tiefe. Und siehe da: Alle ihre Errungenschaften hatte sie sich schwer erarbeitet. Sie hatte viel Ausdauer bewiesen und sich immer wieder aus der Komfortzone gezwungen, wie ich es mir nie abverlangen würde. Zudem hatte sie einen Willen gezeigt, um den man sie grad wieder hätte beneiden können. Mein Weltbild war einigermassen wieder hergestellt.

…und die im Dunkeln sieht man nicht

In diesem Zusammenhang erinnerte ich mich daran, wie jemand das Leben eines Menschen mit einem Baum verglich: Wir sähen vom Baum nur den Stamm, die Krone sowie die Blätter und Früchte; quasi das Resultat oder den Erfolg. Damit der Baum seine Grösse habe erreichen können, habe er unter der Erde im gleichen Ausmass wachsen müssen – und zusätzliches Wachstum an der Oberfläche sei nur durch weiteres Wachstum im Untergrund zu haben. Das mühelose Spriessen über der Erde sei begleitet von einem mühsamen Vorkämpfen der Wurzeln gegen Widerstände im harten Boden.

Auch wenn die Bodenbeschaffenheit nicht bei allen Menschen die gleiche ist oder sie für gewisse Dinge bessere persönliche Voraussetzungen mitbringen, müssen wir doch alle arbeiten und Widerstände überwinden, um Erfolg ernten zu können.

Den einen dürfte es aber leichter fallen nach dem Motto von Lawrence von Arabien im gleichnamigen Film, der beim Ausdrücken der Zündholzflamme zwischen zwei Fingern sagte: Das Geheimnis sei nicht, dass es nicht weh tue, sondern dass es einem egal sei, dass es wehtue.

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