Es gibt keine negativen Emotionen

Wir unterscheiden meist zwischen positiven und negativen Emotionen: Freude oder Begeisterung versus Angst oder Wut. Macht diese Unterscheidung Sinn? Sind «negative» Emotionen schlecht und müssten wir sie zu vermeiden suchen? Viele Menschen sehen sich erhaben über Wut, Neid oder Eifersucht. Aber wären diese Emotionen sinnlos, hätten sie wohl kaum die Evolution überlebt.

Peter Näf

Ein Kunde von mir führte im Bereich Facility Management einen Haus Abwart, der eine ungenügende Leistung erbrachte. Da der frühere Vorgesetzte dies über Jahre geduldet hatte, fühlte er sich in seiner Position sicher. Mein Kunde hat mehrmals Gespräche mit ihm geführt und seine Leistung beanstandet – ohne Erfolg. Er wurde zunehmend wütend auf seinen Mitarbeiter und machte sich deswegen Vorwürfe. Ich konnte seine Wut verstehen und war erstaunt, dass er sich selbst wenig Verständnis entgegenbrachte.

Emotionen anerkennen und damit arbeiten

Auf meine Frage, was er von sich in dieser Situation erwarte, antwortete er: «Ich müsste in der Lage sein, dem Mitarbeiter meine Sichtweise verständlich zu schildern». Offensichtlich führte er den Misserfolg in den Gesprächen auf eine kommunikative Schwäche seinerseits zurück. In unserer Zusammenarbeit drückte er sich klar aus und die Art, wie er seinem Mitarbeiter sein Anliegen kommunizierte, war für mich nachvollziehbar.

Für mich ist die Wut wie ein kleines Männchen auf meiner Schulter, das mir ins Ohr schreit, wenn ich etwas Wichtiges übersehe. In der Betrachtung dieses Bildes erkannte mein Kunde, dass er sich als Vorgesetzter nicht respektiert fühlte, da sein Mitarbeiter ihn ins Leere laufen liess. Seine emotionale Reaktion konnte er mit seinem Selbstbild eines jederzeit ausgeglichenen Menschen nicht vereinbaren. Auch widersprach die Interaktion seiner Vorstellung, dass alle Meinungsverschiedenheiten in beiderseitigem Einvernehmen kommunikativ gelöst werden könnten.

Wir haben uns dann mit dem Ziel der Wut auseinandergesetzt, den persönlichen Raum – physisch oder im übertragenen Sinne – zu schützen, wenn wir mit unserem Verstand die Notwendigkeit dafür nicht erkennen.

Üben sie sich in Emotionsmanagement

Den Umgang mit eigenen und fremden Emotionen können wir lernen, indem wir ihre Sprache entschlüsseln. Dabei tun wir gut daran, auch die «kleinen» Emotionen wahrzunehmen: Beim ersten Gespräch mit seinem Mitarbeiter empfand mein Kunde vermutlich Ärger über dessen Verhalten. Das hätte er noch gut ansprechen können. Mit der Zeit entwickelte sich der Ärger über das Verhalten zur Wut auf die Person. Diese war nur noch mit professioneller Hilfe zu bewältigen.

So wie mein Kunde aus «negativen» Gefühlen etwas Positives schaffte – seine Bedürfnisse ernst zu nehmen – bringen «positive» Gefühle oft Negatives hervor: Aus lauter Begeisterung treffen wir eine unüberlegte Kaufentscheidung, die uns finanziell belastet oder wir plaudern in gelöster Stimmung Dinge aus, die wir besser für uns behalten hätten.

Gefühle, seien sie nun angenehm oder unangenehm, sind weder positiv noch negativ – sie sind neutrale Wegweiser, die uns durchs Leben navigieren, wenn wir sie richtig lesen.

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