Kennen Sie das Gefühl leichter Verwirrung, nachdem Sie einen Film gesehen haben, aus dem Sie nicht schlau geworden sind? Die Protagonisten ließen Sie kalt, ihre Motivationen und Handlungen waren nicht nachvollziehbar. Und trotzdem können Sie den Film nicht loslassen, weil etwas nicht abgeschlossen ist. So ergeht es mir manchmal mit den Geschichten meiner Kundinnen und Kunden, wie folgendes Beispiel zeigt.
Die Zusammenarbeit mit einem Kunden im Outplacement gestaltete sich schwierig. Ich konnte ihn nicht erfassen und er blieb mir auch nach mehrmaligen Treffen seltsam fremd.
Kurz zu seiner Geschichte: Er hatte nach einigen Jahren in einer Industriefirma die Kündigung erhalten. Der Grund war ein schlechtes Einvernehmen mit seinem Vorgesetzten und Uneinigkeit über die Interpretation seiner Rolle. Vor dieser Stelle hatte er bei einem Finanzdienstleistungsunternehmen ein grösseres Team geführt. Ich hatte den Eindruck, dass seine Karriere aufgrund seines früheren Wechsels einen Bruch aufwies und habe ihn darauf angesprochen. Er reagierte ausweichend. Ich konnte seine damalige Entscheidung nicht nachvollziehen; sein Karriereverlauf machte für mich keinen Sinn.
Sinn erschliesst sich in der Gesamtsicht
Nach einiger Zeit provozierte ich ihn mit der Aussage, sein Wechsel in die Industrie sei ein klarer Rückschritt gewesen. Er gab mir recht und erzählte mir schliesslich die ganze Geschichte: Er hätte die Stelle damals aus zwei Überlegungen angenommen: Erstens habe er die Finanzdienstleistungsbranche verlassen wollen und sei daher bereit gewesen, als Investition in seine neue berufliche Ausrichtung eine weniger qualifizierte Funktion zu übernehmen. Zweitens habe seine Frau ihr Arbeitspensum erhöht und er hätte einen grösseren Anteil der Kinderbetreuung übernommen. Es sei ihm daher gelegen gekommen, für eine gewisse Zeit beruflich weniger gefordert zu sein. Zudem hätten er und sein künftiger Vorgesetzter seine teilweise Überqualifizierung im Job-Interview thematisiert und vereinbart, die Stelle durch anspruchsvolle Projekte aufzuwerten.
Sympathie entsteht durch Nachvollziehbarkeit
Leider hatte sich die Stelle nicht wie erwartet entwickelt. Aufgrund eines Vorgesetzten-Wechsels wurden vereinbarte Projekte nicht realisiert.
Jetzt verstand ich seine Situation und konnte seine Entscheidung nachvollziehen. Durch unser offenes Gespräch entstand Sympathie und die Zusammenarbeit verbesserte sich. Auch mein Kunde verstand erst jetzt wirklich, was vorgefallen war. Bis dahin war er einer kritischen Auseinandersetzung mit seiner beruflichen Vergangenheit aus dem Weg gegangen.
Wir haben dann seine Karrieregeschichte neu aufbereitet: Er sah einerseits, dass er Pech hatte wegen der ungünstigen Entwicklung im Unternehmen. Gleichzeitig musste er sich eingestehen, dass er es versäumt hatte, rechtzeitig von sich aus eine neue Stelle zu suchen. Mit der Formulierung, was er aus dieser Situation gelernt hatte, war die Argumentation fertig.
Solche Geschichten, in denen nicht alles nach Plan verläuft, erwecken Sympathie, weil wir alle ähnliches erlebt haben. Und wenn der Betroffene zeigt, dass er seine Lektion gelernt hat, kann eine scheinbare Misserfolgs- zur Erfolgsstory werden.