Beim Storytelling im Rahmen Job-Interviewtrainings kommunizieren viele meiner Kundinnen und Kunden in der «Wir»-Form, gelegentlich sogar in der «man»-Form. Auch wenn das «Wir» im Gegensatz zum «man» noch etwas sympathisches hat, ist beiden Formen etwas gemeinsam: Der persönliche Beitrag sowie die Stärken der Erzählenden werden in den Schilderungen nicht sichtbar.
«In unserer Firma ist es verpönt, in der Ich-Form zu sprechen – Leistungen werden bei uns immer in der Wir-Form beschrieben; schliesslich erreichen wir unsere Ziele nur gemeinsam». Dies war die Antwort einer Kundin auf meinen Einwand, sie müsste für gutes Selbstmarketing mehr in der ersten Person sprechen.
Diese Sprachregelung ist in vielen, vor allen internationalen Konzernen verbreitet. Anscheinend handelt es sich um den Versuch, damit auf die Haltung von Mitarbeitenden einzuwirken und einen Bewusstseinswandel zu erzeugen. Ob Haltungsänderungen über Sprachregelungen erreicht werden können, ist in anderem Zusammenhang Gegenstand hitziger Diskussionen und braucht uns hier nicht weiter zu interessieren.
Selbstbewusstsein erfordert das Ich
Allerdings tue ich mich aus einem anderen Grund schwer mit dieser Vorgabe: In all meinen Jahren als Karrierecoach habe ich bei meinen Kundinnen und Kunden als den vielleicht grössten Stolperstein auf dem Weg zu einer erfüllenden Karriere den Mangel an Selbstbewusstsein kennengelernt. Auch höchst qualifizierte Menschen haben viel zu oft Mühe zu erkennen, was ihre Stärken sind und was sie vor anderen auszeichnet.
Diese Erkenntnis können Menschen, die nicht mit einem natürlichen Selbstbewusstsein gesegnet sind, nur durch die Erfahrung ihrer eigenen Selbstwirksamkeit und deren Auswertung gewinnen. Dafür müssen Mitarbeitende die Möglichkeit haben, ihre Leistungen und ihren persönlichen Beitrag zur Zielerreichung zu sehen und sich auch ans eigene Revers zu stecken.
Eine gute Zusammenarbeit im Team zu fördern ist wichtig und ein nachvollziehbares Anliegen. Aber es darf nicht auf Kosten des Selbstbewusstseins der Mitarbeitenden gehen.
Mit Storytelling sich selber kennenlernen
Dabei spreche ich nicht den Schaumschlägern das Wort, welche sich nicht nur die eigenen, sondern auch die Leistungen anderer als persönlichen Erfolg anrechnen. Führungskräfte tun gut daran, diese Art der Selbstüberhebung im Team zu sanktionieren. Mir geht es hier um Eigenwerbung im besten Sinne des Wortes: Realisieren, was ich getan habe und dies wahrheitsgetreu erzählen – Storytelling im besten Sinne. Auch Unternehmen haben im Rahmen der Mitarbeiterbindung ein Interesse daran, dass ihre Mitarbeitenden wissen, was sie können und sich idealerweise intern erfolgreich weiterentwickeln.
Wir sind uns in unserer Gesellschaft offenbar einig darüber, dass Menschen ihre im Unternehmen erworbenen Fähigkeiten mitnehmen und in einem anderen Unternehmen einbringen dürfen. Da ist es nur folgerichtig, dass ihnen auch das Selbstbewusstsein gehört, welches sie durch ihre erbrachten Leistungen erworben haben.