Verlangen Sie alles – vielleicht kriegen Sie es sogar

Bei der Formulierung ihrer Bedürfnisse sind viele Bewerbende sehr zurückhaltend. Sie befürchten, aus dem Rekrutierungsprozess ausgeschlossen zu werden, wenn sie eigene Vorstellungen über die Ausgestaltung einer Stelle einbringen. Nicht selten höre ich von Coachees, das Wichtigste sei jetzt, den Job zu kriegen. Sie würden dann nach Stellenantritt noch das eine oder andere nachverhandeln. Dann ist es aber leider meist zu spät!

Peter Näf

Auch wenn es auf den ersten Blick irrational erscheinen mag: wenn Bewerbende einen Job angenommen haben, ist meist nicht mehr viel daran zu ändern. Es entbehrt allerdings auch nicht einer gewissen Logik. Denn Vorgesetzte fragen sich zu Recht, warum Mitarbeitende auf einmal Forderungen stellen, die sie nicht in den Bewerbungsgesprächen eingebracht hatten.

So handeln sich viele Stellensuchende im Bewerbungsprozess aus Angst vor Ablehnung selbst runter. Besser gingen sie mit ihren Idealvorstellungen von Stelle und Umfeld in die Ge-spräche, um mindestens einen Teil davon zu verhandeln. Lesen Sie dazu auch meinen Artikel «Was Sie vom Verhandlungsprofi für die Bewerbung lernen können».

Unternehmen sind oft diskussionsbereit

Dass Unternehmen unverhofft kompromissbereit sein können, zeigt folgendes Beispiel: Ein Kunde hatte seine Führungsposition gekündigt, da ihn Ineffizienzen im Unternehmen in seinem Handeln behinderten. Während er bei mir in der beruflichen Standortbestimmung war, bot ihm sein ehemaliger Arbeitgeber eine Stelle als Projektleiter an. Ziel der Transformationsprojekte war, die Bereiche zu optimieren, deren Unprofessionalität er stets bemängelt hatte. Er zeigte sich desinteressiert. Da ich vermutete, dass er doch nicht abgeneigt sei, lud ich ihn zu einem Spiel ein.

Bedürfnisse von Mitarbeitenden sind gefragt

Ich bat ihn zu formulieren, unter welchen Bedingungen ihn die angebotene Stelle interessieren würde. Als Spielregel galt, dass er sich ausschliesslich auf seine Bedürfnisse konzentrieren und rücksichtslos alles fordern solle, was ihm wichtig sei. Er nannte etwa zehn Punkte. Unter anderem wollte er mit einem Pensum von 20% beginnen und selbst entscheiden, wann er um wie viele Stellenprozente erhöht. Zudem interessierten ihn nur ein Teil der Projekte.

Nachdem ich all seine Forderungen notiert hatte, überreichte ich sie ihm mit der Aufforderung, mit diesem Katalog in die Verhandlungen mit dem Unternehmen einzusteigen. Er meinte, ich mache einen Witz und lachte mich aus. Schliesslich liess er sich doch auf die Herausforderung ein und suchte das Gespräch mit seinem ehemaligen Arbeitgeber. Dieser ging auf all seine Forderungen ein, ohne dass er darum kämpfen musste.

Oft erlebe ich, dass Unternehmen durchaus bereit wären, auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden einzugehen – doch viele wissen selbst nicht genau, was ihnen wichtig ist oder wohin sie sich beruflich entwickeln möchten. Deshalb entscheiden sich immer mehr Unternehmen dafür, ihren Mitarbeitenden eine berufliche Standortbestimmung bei mir zu ermöglichen – eine Investition, die sich lohnt!

#bewerbung #outplacement #jobinterview

Weitere Artikel zum Thema:

Äussern Sie Ihre Bedürfnisse – vielleicht hat niemand etwas dagegen
Was Sie vom Verhandlungsprofi für die Bewerbung lernen können