Verlieben Sie sich nicht in Stelleninserate!

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Ein Stellensucher liest ein Job-Inserat, ist begeistert und überzeugt davon, dass es sich um genau die Stelle handelt, die er sich immer gewünscht hat. Also bewirbt er sich. Die Job-Interviews verlaufen erfolgreich, er erhält ein Angebot und unterschreibt den Arbeitsvertrag. Einige Tage nach Stellenantritt greift er sich an den Kopf – wie um alles in der Welt ist er in diesem unmöglichen Job gelandet! Was ist passiert?

Peter Näf

Ähnliche Erlebnisse schildern mir zuweilen Kundinnen und Kunden. Bei der Besprechung ihres Vorgehens in der Bewerbung stellt sich jeweils heraus, dass sie sich zu früh für die Stelle entschieden haben – nämlich beim Lesen des Stelleninserates. Danach blendeten sie Informationen aus, die ihre Entscheidung hätten in Frage stellen können; das erfordert die Psychohygiene. Daher waren sie unkritisch in den Job-Interviews und es entgingen ihnen wichtige Informationen.

Bleiben Sie kritisch bis zum Schluss

Diese Gefahr droht vor allem gesuchten Fach- und Führungskräften, die im Rekrutierungsprozess von der Unternehmensseite zu wenig herausgefordert werden. Wie ich im Artikel «Doppelte Arbeit für Recruiter und Bewerbende» ausgeführt habe, prüfen manche Unternehmen unter dem Druck des Fachkräftemangels gute Bewerbende zu wenig. Dadurch werden auch deren Vorstellungen nicht Frage gestellt.

Denn viele Stellensuchende sind sich zu wenig bewusst, dass sie bei der Lektüre eines Stelleninserates nicht die effektive Stelle anspricht, sondern das, was sie sich darunter vorstellen – eine Projektion ihrer Bedürfnisse. Sie bewerben sich also auf eine Fantasie.

Disziplinierte Vorgehensweise

Wie können Sie dieser Falle entgehen? Orientieren Sie sich bei der Bewerbung an einer professionellen Rekrutierung. Recruiter kennen die Wahrnehmungs- und Beurteilungsfehler, die ihnen im Rekrutierungsprozesses unterlaufen können. Einer davon ist der «erste Eindruck», dem die frühen Entscheider erliegen.

Um diesen Gefahren zu entgehen, umfasst der Rekrutierungsprozess mehrere Stufen. Erfahrene Recruiter bereiten sämtliche Gespräche schriftlich vor und werten diese schriftlich aus. Im Job-Interview nehmen sie viel mehr Informationen auf, als sie während des Gesprächs verarbeiten können. Die schriftliche Auswertung fördert viele Eindrücke zutage, die andernfalls verloren gingen. Und in der Auswertung ergeben sich die Fragen für die nächste Interview-Runde. Die Entscheidung für eine Kandidatin oder einen Kandidaten fällen sie erst nach Abschluss aller Gespräche und der Klärung sämtlicher Fragen.

Mit einem ähnlich strukturierten Vorgehen vermeiden auch Sie Wahrnehmungs- und Beurteilungsfehler in der Bewerbung. Was können Sie bei diesem prozessorientierten Vorgehen entscheiden, wenn Sie ein Stelleninserat lesen? Lediglich, ob der Job in Ihrer Vorstellung so attraktiv ist, dass Sie in einem klärenden Telefongespräch oder in einem Job-Interview mehr darüber erfahren möchten.

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