Warum das Deuten von Gesten oft schief geht

Viele Menschen versuchen – etwa im Bewerbungs- oder Rekrutierungsgespräch – ihr Gegenüber anhand von Gesten zu lesen. Vor der Brust verschränkte Arme gelten dann schnell als Zeichen für Abwehr oder Verschlossenheit. Von solchen pauschalen Interpretationen rate ich dringend ab. Gestik ist nicht so eindeutig, wie sie auf den ersten Blick scheint.

Peter Näf

Was wäre die Voraussetzung dafür, Gestik von Menschen sicher zu lesen? Sie müsste universell sein – also bei Menschen unterschiedlichster Kultur und Prägung als Reaktion auf identische Auslöser gleich erscheinen. Das ist nicht der Fall. Ganz anders verhält es sich beim emotionalen Gesichtsausdruck.

Der Psychologe Paul Ekman – einem breiteren Publikum durch die Fernsehserie «Lie to me» bekannt – hat den Ausdruck von Emotionen im menschlichen Gesicht international untersucht und ist damit im wahrsten Sinne des Wortes ans Ende der Welt gereist. Er hat nicht nur in uns bekannten Kulturen den Gesichtsausdruck der Menschen bei bestimmten Emotionen untersucht und verglichen.

Wann Mimik universell ist…

Er hat dies auch mit Stammesgesellschaften ohne Kontakt zu anderen Kulturen gemacht. So konnte er ausschliessen, dass Gesichtsausdrücke erlernt oder kulturell geprägt sind. Sein Ergebnis: Emotionale Basisreaktionen im Gesicht sind universell. So ist eine angespannte, schmal werdende Oberlippe ein sicheres Zeichen für Wut – unabhängig von Herkunft oder Kultur.

Paul Ekman beschreibt seine Ergebnisse im lesenswerten Buch «Gefühle lesen» anschaulich. Doch jenseits solcher klaren Emotionen bleibt bei der Interpretation von Mimik und Gestik Vorsicht geboten.

…und wann sie individuell bleibt

Der deutsche Autor und Bühnenkünstler Thorsten Havener verblüfft die Zuschauer mit seinen Experimenten zum Gedankenlesen. In seinen Büchern beschreibt er sein Vorgehen: Er nimmt als guter Beobachter auch kleinste mimische und gestische Reaktionen wahr. Um sie aber richtig deuten zu können, muss er seine Probanden zuerst «kalibrieren». Dazu stellt er eine Frage, etwa nach dem Namen, die sie sicher beantworten können. Anschliessend stellt er ihnen eine Frage, die sie unmöglich beantworten können. Aus dem Unterschied in Mimik und Körpersprache erkennt er, wie diese Person individuell Wissen und Nichtwissen ausdrückt – und erst dann kann er sie richtig «lesen».

Wenn Ihnen also jemand mit verschränkten Armen gegenübersteht, und Sie haben ihn nicht vorher kalibriert, seien Sie vorsichtig mit vorschnellen Schlüssen. Die Haltung kann vieles bedeuten: Vielleicht sind Sie ihm zu nahegetreten und er versucht sich tatsächlich zu schützen. Möglicherweise entspannt er sich aber in dieser Haltung; vielleicht versucht er Schweissflecken oder schmutzige Hände zu verbergen – oder er umarmt sich einfach selbst.

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