«Es lebe der Generalist! Warum gerade sie in einer spezialisierten Welt erfolgreicher sind». In diesem lesenswerten Buch beschreibt David Epstein, wie wir in unserem Berufsalltag von Erfahrungen aus anderen Lebens- oder Arbeitskontexten profitieren können. Daher plädiert er für eine nicht zu frühe Spezialisierung. Dies widerspricht der heutigen Tendenz, schon in der Schule thematisch stark einzuspuren. Als Transmissionsriemen für die Übertragung von Erfahrungen aus anderen Bereichen nennt Epstein die Analogie.
Beim Lesen des Buches erinnerte ich mich an meine Anfänge als Coach: Ich war im Zwiespalt, ob und wie ich Coachings vorbereiten sollte. In der Ausbildung hatte ich gelernt, wie wichtig es sei, mich auf den Coaching-Prozess einzulassen und diesen nicht durch Planung zu steuern oder gar zu behindern. Schliesslich kann ich auch inmitten eines laufenden Coachingprozesses nicht wissen, mit welchen Anliegen meine Kundinnen und Kunden in die nächste Sitzung kommen werden. Und trotzdem fühlte ich mich unbehaglich, wenn ich mich nicht vorbereitete.
Schon in der Vergangenheit fiel es mir in anderen Kontexten schwer, mich vorzubereiten. Ich wollte auf Unvorhersehbares reagieren können und befürchtete, mich durch Vorbereitung meiner Flexibilität zu berauben. Und doch ist mir die mangelnde Planung immer wieder zum Verhängnis geworden.
Analogien bringen uns weiter
Als ich wieder einmal zu diesem Thema grübelte, kam mir eine Intuition: Mise en place! Damit bezeichnet man im Speiseservice das Bereitstellen von allem, was beim späteren Andrang der Kunden benötigt werden könnte: Das Decken des Tisches mit dem erwartungsgemäss erforderlichen Geschirr und Besteck sowie das Bereitstellen von Rechauds, Reserve-Besteck, Tischwäsche, Zapfenzieher, etc. Die Vorkehrungen waren unabhängig davon, was davon ich später brauchen würde. Ich gab damit den Kunden nicht vor, was sie zu konsumieren hatten. Aber ich stellte sicher, dass ich rasch auf ihre Wünsche reagieren konnte, da ich zumindest einen Teil davon vorweggenommen hatte.
Ich kann meine Improvisationsgabe also nur optimal ausleben, wenn ich ihr eine Struktur gebe – Improvisation ohne Vorbereitung verwandelt sich unter Druck in Chaos. Mit dieser Analogie aus dem Gastgewerbe konnte ich im Coaching etwas anfangen.
Kellner sind Meister der Arbeitstechnik
Zum Thema Arbeitstechnik habe ich noch mehr gelernt als Kellner: Niemals mit leeren Händen unterwegs sein; ständig den Blick schweifen lassen, um Kundenbedürfnisse frühzeitig zu erkennen; tagfertiges Arbeiten und Aufräumen am Abend, damit ich den neuen Tag ohne vermeidbare Pendenzen starten kann. Dies sind alles Arbeitstechniken, denen ich mich noch heute bediene.
Gekellnert hatte ich zwar aus Freude an der Sache und weil der Verdienst für die Finanzierung meines Studiums ansprechend war. Aber ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich Dinge lernen würde, von denen ich später in völlig anderen Kontexten profitieren könnte.