Skill-basiertes (kompetenzbasiertes) Recruiting – alter Wein in neuen Schläuchen?

Wie ich dieses Gefühl aus der Schulzeit kenne, das sich immer dann zeigte, wenn bei einer Prüfung gerade das Kapitel abgefragt wurde, welches ich nicht vorbereitet hatte. Es erfasste mich wieder, als neulich eine Recruiterin mir erzählte, dass sie in ihrem Unternehmen jetzt voll auf skill-basiertes Recruiting setzten. Und ich fragte mich: «Was um Himmels Willen habe ich verpasst?»

Peter Näf

Die Episode erinnerte mich an ein Erlebnis als junger Personalberater: Ich traf die Mitarbeiterin eines Konkurrenzunternehmens zum Mittagessen. Sie war ganz beflügelt, da sie an diesem Vormittag ein Personal-Suchmandat abgeschlossen hatte und sie führte den Erfolg auf den «Multi-Channel Ansatz» zurück, den sie in ihrer Firma seit einiger Zeit pflegten. Zu meiner Verteidigung sei angemerkt, dass vor 25 Jahren «Multi-Channel» noch kein verbreiteter Begriff war.

Ich war am Boden zerstört, betrieben wir doch in unserem Unternehmen altmodische Personalsuche und schienen den Anschluss an die Moderne verpasst zu haben.

«Bullshiting» in Business

Zurück im Büro rief ich mit zittrigen Fingern die Homepage unseres Konkurrenten auf. Eine eindrucksvolle Graphik illustrierte den «Multi-Channel»-Ansatz, der bedeutete: Sie benutzten bei einem Personalsuch-Mandat das eigene Netzwerk und die interne Datenbank, sie platzierten Inserate in Print und Online und arbeiteten bei Bedarf mit Direktansprache. Aha – «Multi-Channel» nannten sie also, was wir selbstverständlich jeden Tag taten. Ist Skills-basiertes Recruiting ebenfalls ein bekanntes Konzept mit einem neuen Anstrich?

Nach meiner kleinen Recherche dazu vermute ich es. Dass Mitarbeitende die richtigen Fähigkeiten für die Bewältigung von Aufgaben benötigen, ist unbestritten und dass Ausbildungs-Zertifikate keine Garanten für beruflichen Erfolg sind, dürfte sich herumgesprochen haben. Dass Bewerbende aus anderen Domänen relevante Erfahrungen mitbringen können, hat Richard Bolles in seinem Karriereklassiker «What Colour Is Your Parachute» als übertragbare Fähigkeiten schon in den 1970-er Jahren beschrieben; der Begriff dürfte sogar um einiges älter sein. Und schliesslich kennen erfahrene Recruiter seit langem unter dem Begriff «Critical Incident Interview» eine Methode, um erfolgskritische Fähigkeiten bei Bewerbenden aufgrund konkreter Erfolgsgeschichten abzufragen. Voraussetzung dafür ist, dass Recruiter die Stellenanforderungen analysieren und die erforderlichen Skills daraus ableiten.

Rekrutierung als eine Königsdisziplin im HR

Neu dürfte lediglich sein, dass aufgrund des Fachkräftemangels auch führende Grossunternehmen ihre Traumkandidatinnen und -kandidaten nicht mehr wie tiefhängende Früchte pflücken können. Sie sind gezwungen zu tun, was klein- und mittelgrossen Unternehmen vertraut vorkommen dürfte: Bewerbende zu finden, die über relevante berufliche Erfahrungen verfügen, die nicht auf den ersten Blick sichtbar sind und diese «on the job» weiterzuentwickeln.

Vielleicht schafft es das Skill-basierte Hiring wenigstens, der Rekrutierung den Stellenwert zu geben, der ihr gebührt. Es wäre zu wünschen, dass Rekrutierung künftig vermehrt erfahrene HR-Fachleute anzieht anstatt wie bisher allzu oft für junge Mitarbeitende als Einstieg ins Personalwesen zu dienen.

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