Dies fragte mich vor vielen Jahren erschöpft ein junger Kunde am Ende unseres Job-Interviewtrainings. Es war die alles zusammenfassende Frage nach zwei Stunden Schwerarbeit. «Ja, das sollen Sie sogar!» erwiderte ich matt – auch ich war Ende meiner Kräfte. Was war passiert?
Paul (Name geändert) buchte bei mir ein Job-Interviewtraining als Vorbereitung auf ein bevorstehendes Bewerbungsgespräch. Es ging um eine Stelle mit repräsentativen Aufgaben bei einer renommierten Organisation, die in der Gesellschaft hohes Ansehen genoss. Paul machte einen sehr nervösen Eindruck.
Als erste Interviewfrage bat ich ihn, mir etwas über sich zu erzählen. In feierlichem Ton sagte er, was für eine Ehre es für ihn wäre, diese Organisation zu vertreten und wie es ihn mit Stolz erfüllen würde, für sie zu arbeiten. Ich vermeinte schon, leise Fanfaren-Klänge zu vernehmen. Dabei wirkte er wie ein Schuljunge, welcher mit Lampenfieber ein Gedicht aufsagt.
Wer ausser sich ist, wirkt unecht
Ich muss Paul völlig entgeistert angeblickt haben, denn er wurde zunehmend nervöser. Schliesslich unterbrach ich ihn. Ich gab ihm als Feedback, wie unnatürlich er rüberkomme und dass er im Alltag weder inhaltlich noch in der Art je so kommunizieren würde. In seiner Enttäuschung über meine Rückmeldung erwiderte er gestikulierend, er könne doch nicht so kommunizieren, wie es seiner Persönlichkeit entspreche. Schliesslich hätte er südländische Wurzeln und sein Temperament sei unpassend in einem Job-Interview. Jetzt war ich überzeugt von ihm: Was für eine grossartige, lebhafte Person!
Ich riet ihm, genau in dieser Art im Bewerbungsgespräch zu kommunizieren. Allenfalls könne er den Radius seines Gestikulierens etwas enger halten. Aber wie zuvor die Hände in der Art eines braven Schuljungen ruhig auf dem Tisch zu halten, komme für ihn nicht in Frage. Schliesslich brauche er diese, um sich auszudrücken, wie ich es im Artikel «Was mache ich mit den Händen im Bewerbungsgespräch?» beschrieben habe.
Haben Sie den Mut, sich zu zeigen
Jetzt war es Paul, der mich entgeistert ansah. Ich brauchte mein gesamtes rhetorisches Repertoire, um ihn – wie die Frage im Einstieg zeigt – wenigstens einigermassen zu überzeugen.
Im weiteren Verlauf der Sitzung machten wir Storytelling, damit er seine Qualitäten im Bewerbungsgespräch kommunizieren konnte. Dabei erzählte er mir eine Geschichte, in der sein pfiffiges und unerschrockenes Wesen auf eine Weise sichtbar wurde, dass ich laut lachen musste.
Zusammenfassend riet ich ihm, er solle sich im Job-Interview persönlich zeigen und im Rahmen der Bewerber-Rolle so kommunizieren, wie es seinem Temperament entspreche. Vor allem aber solle er seine lustige Geschichte zum Besten geben, wenn es sich irgendwie einrichten lasse. So wie Paul mich anblickte, dachte er wohl, ich sei nun definitiv von allen guten Geistern verlassen.
Ich habe dann lange nichts von ihm gehört und befürchtete schon, er hätte die Stelle nicht gekriegt. Einige Wochen später informierte er mich per E-Mail, er hätte den Arbeitsvertrag unterschrieben. Die Gespräche seien erfolgreich verlaufen. Zudem hätte er die witzige Geschichte erzählt und seine Interviewerinnen hätten sich gekugelt vor Lachen.
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Jetzt aber mal «frei Schnauze» – bitte!
Ein Bewerbungsgespräch ist wie ein Witz