Geflügel fliegt nicht

…und leider heben auch viele Bewerbungen nicht ab. Was das miteinander zu tun hat? Mehr, als Sie denken: Es geht um gutes Deutsch und um Bilder!

Peter Näf

Das Bild vom fluguntauglichen Geflügel stammt aus dem Buch „Deutsch für Kenner“ von Wolf Schneider, dem Journalisten und Buchautor, der oft als Deutscher Sprachpapst bezeichnet wurde. Wenige Monate vor seinem Tod im 2022 mit 96 Jahren wurde er sogar auf Tik-Tok bekannt für seine Beiträge zu Sprache und Stil. Seine Bücher sind für mich als Karrierecoach etwas vom Besten über schriftliche und mündliche Kommunikation – und damit über Stellenbewerbung und Job-Interviews. Und Wolf Schneider brachte es fertig, eine vermeintlich trockene Materie so unterhaltsam aufzubereiten, dass Sie das Buch zum Vergnü-gen auf dem Sofa liegend lesen können.

Konkret schlägt abstrakt

Die sprachliche Unsitte, die Schneider anhand des Geflügels illustriert ist die Neigung, Sachverhalte zu kategorisieren und damit zu abstrahieren. Anstatt dass wir konkrete Dinge erzählen, verkürzen wir mit dem Überbegriff der Kategorie. So heißt es dann: „Auf dem Bauernhof flattert allerlei Geflügel“ an Stelle von „Auf dem Bauernhof gibt es Enten, Gänse, Schwäne und Tauben – und allesamt können sie fliegen.

In Lebensläufen und Bewerbungsgesprächen begegne ich ähnlichen Abstraktionen: „Ich bin für die Finanzberatung einer internationalen, vermögenden Privatkundschaft zuständig.“ Mit wenig mehr Worten ließe sich ein Satz bilden, der tatsächlich etwas aussagt: „Ich berate Privatkunden mit Vermögen zwischen 1 und 5 Millionen aus den USA, Deutschland, Israel und Australien zu Geldanlage und Steueroptimierung.“

Die Abstrahierung ist an sich eine geniale menschliche Fähigkeit und läuft weitgehend unbewusst ab. Sie hilft uns, die komplexen und vielfältigen Eindrücke der Umwelt durch die Bildung von Kategorien zu vereinfachen und damit mental zu beherrschen. Dies ist notwendig, da wir unseren begrenzten Arbeitsspeicher freihalten müssen für die Verarbeitung von Neuem. Die Kategorisierung ist eine Interpretation basierend auf persönlicher Erfahrung und damit von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Wir sind uns daher über den Inhalt der Begriffe uneins.

Es geht um Bilder

Für auf dem Land wohnhafte Menschen beinhaltet der Begriff „Geflügel“ vielleicht die oben auf-geführten Tiere auf einem Bauernhof. Für Städter handelt es sich möglicherweise um gerupfte Hühner und Gänse in der Auslage der örtlichen Metzgerei. Ähnliche Beispiele findet man auch im Bereich Karriere: Wenn Person A von Kundenberatung spricht, denkt sie aufgrund ihrer persönlichen Erfahrung als Anlageberaterin an die Empfehlung und den Verkauf von Wertpapieren. Person B denkt als IT-Spezialist an die Beratung im Zusammenhang mit Servern und PC’s.

Wenn Sie sicherstellen wollen, dass Ihr Gegenüber Sie im Bewerbungsprozess wirklich kennenlernt und versteht, wovon Sie sprechen resp. schreiben, dann seien Sie konkret. Erzählen Sie im Job-Interview Geschichten. Gut erzählte Geschichten sind Einzelfälle und damit anschaulich, denn sie erzeugen beim Gegenüber Bilder. Und genau das ist das Ziel – denn nicht von ungefähr sagen Recruiter oft, sie sähen Kandidatin A in diesem Job, nicht allerdings Kandidat B. Denn es geht um Sehen – mit dem geistigen Auge.

Verleihen Sie daher Ihrer Karriere durch gutes Storytelling Flügel!

#Motivationsschreiben, #Bewerbung, #Lebenslauf