Ist das Motivationsschreiben ein Auslaufmodell?

Das Motivationsschreiben ist der Teil der schriftlichen Bewerbungsunterlagen, der vielen Bewerbenden am meisten Mühe bereitet. Als ich kürzlich in einem Artikel angeregt habe, Mühe darauf zu verwenden, haben es Leser als Auslaufmodell bezeichnet. Stimmt das?  Oder leben sie als Todgesagte länger? Kehren sie gar in veränderter Form wieder bei den Unternehmen, die darauf verzichten?

Peter Näf

Zuerst gilt es zu klären, was überhaupt der Sinn des Motivationsschreibens ist. Viele bezeichnen es als Begleitschreiben zu den Bewerbungsunterlagen, was es nicht ganz trifft. Es ist meines Erachtens ein eigenständiger Teil der Bewerbungsdokumente mit bestimmten Kommunikations-Zielen und entsprechenden Anforderungen.

Ich vergleiche den Lebenslauf mit einer Broschüre über die Bewerbenden, in der sie zusammengefasst und übersichtlich die wichtigsten Informationen über die eigene Person und ihre Karriere aufbereiten.

Das Motivationsschreiben hingegen beantwortet konkrete Fragen: Warum interessiere ich mich als Bewerber/in für diese Stelle und was sind die wichtigsten Gründe, warum ich denke, dafür in Frage zu kommen. Es ist damit vergleichbar mit einer massgeschneiderten Offerte.

Die Fragen bleiben relevant

Viele Bewerbende gehen davon aus, sie müssten nur aufzeigen, dass sie den in Frage stehenden Job machen können. Unternehmen interessiert aber gleichermassen, ob Bewerbende den Job auch machen wollen; ob sie dafür motiviert sind. Würden sie die Stelle einer top qualifizierten, aber wenig motivierten Bewerberin anbieten, bestünde die Gefahr, dass sie nach einigen Monaten einen sie mehr interessierenden Job annähme und kündigte. Unerwünschte Fluktuationen sind für Unternehmen sehr teuer und frustrieren nicht selten die zurückbleibenden Mitarbeitenden. Wenn wir nur die Fähigkeiten der Bewerbenden betrachten, besteht auch die Möglichkeit der Unterforderung mit der Gefahr eines Boreouts. Ich glaube, dieses Phänomen ist weit verbreitet, vielen aber im Gegensatz zum Burnout nicht bekannt.

Zeitversetztes Videointerview

Auch wenn die Fragen, die ein Motivationsschreiben beantwortet, immer noch relevant sind, kann man sich darüber streiten, ob es die Form noch ist. Da viele Unternehmen – ob man dies als sinnvoll erachtet oder nicht – diese Schreiben noch erwarten, sind sie zumindest für diese noch relevant. Allerdings verzichten immer mehr Unternehmen darauf, weil heute Bewerbende ohne Eigenleistung mit Chat-GPT ein durchschnittliches Motivationsschreiben verfassen können. Ein persönliches Schreiben nach gründlicher Auseinandersetzung mit sich und der Stelle kann allerdings nicht an künstliche Intelligenz delegiert werden. Es bietet dadurch die Chance, sich von Mitbewerbenden abzuheben.

Die Fragen, die ein Motivationsschreiben idealerweise beantwortet, kommen aber in veränderter Form zurück im zeitversetzten Videointerview. Dabei stellen Unternehmen Bewerbenden Fragen nach dem Interesse für die Stelle und den wichtigsten Argumenten, warum sie darauf passen könnten.

Die Form ändert sich, aber der Inhalt bleibt. Und spätestens im Job-Interview kriegen Sie die Fragen noch einmal gestellt. Wenn Sie Ihr Motivationsschreiben selber verfasst haben, sind Sie darauf gut vorbereitet, denn jetzt können Sie die Fragen nur noch mit ihrer natürlichen Intelligenz beantworten.

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