Kleider machen immer noch Leute

Dass Kleider Leute machen, hatte nicht nur in Gottfried Kellers Seldwyla Gültigkeit. Uniformen mit gestärkten Schulter- und Brustpartien sowie steife Hüte oder hochhackige Schuhe, welche Menschen grösser erscheinen lassen, verfehlen auch heute ihre Wirkung nicht. Zum einen nehmen wir Menschen je nach Kleidung unterschiedlich wahr. Zum anderen beeinflusst unsere eigene Bekleidung die Selbstwahrnehmung und damit unser Verhalten.

Peter Näf

In den letzten Jahren sind in vielen Kontexten Kleidervorschriften gelockert worden, was oft Sinn machen mag. Und doch beobachte ich bei meinen Coachees, dass sie die Wirkung von Kleidung oft unterschätzen und sich damit eine Chance entgehen lassen. Kleidung wirkt auf andere Menschen und wenn wir auf diesen Effekt verzichten, müssen wir die eingebüsste Wirkung anderweitig kompensieren. Dies kann einen Zusatzaufwand bedeuten. Dass wir tatsächlich auf solche scheinbaren Äusserlichkeiten wie Kleider reagieren, merken wir spätestens dann, wenn wir zufällig einer Autoritätsperson in der Sauna begegnen.

Das richtige Kostüm hilft uns in die Rolle

Noch interessanter finde ich, wie unsere eigene Bekleidung über die Selbstwahrnehmung auf unser Verhalten wirkt. Im Artikel «Rollenspiel – ein unterschätztes Konzept!» habe ich die Vorteile beschrieben, im Berufsleben bewusst Rollen einzunehmen resp. diese klar zu definieren. Kleider helfen uns dabei, in die Rolle zu finden.

Sie kennen möglicherweise aus Kommunikationsseminaren das Spiel mit den verschiedenen Hüten: Je nach Rolle, die Sie in einer Interaktion einnehmen, tragen Sie einen andersfarbigen Hut. Und was passiert? Es ist wie Magie: der Hut erleichtert Ihnen, in die Rolle zu schlüpfen und entsprechend zu agieren. Auch im Berufsalltag gilt: Wenn wir eine Rolle bewusst einnehmen, werden die Anforderungen, die eine Situation an uns stellt, auf einmal klar. Sie können diesen Umstand gezielt einsetzen. Dazu einige Beispiele:

Richtig eingerollt ist halb gewonnen

Manchmal biete ich Coachees einen Termin am Samstag an. Früher sagte ich jeweils, ich würde am Wochenende nur in Jeans und Pullover arbeiten, was mir aber nie gelungen ist. Ich hätte Mühe, in meine Rolle als Karrierecoach zu finden ohne meine berufliche Bekleidung sowie meine gewohnten Accessoires wie Laptop, Schreibblock und Bleistift. Ein weiterer Vorteil meiner Arbeitskleidung ist, dass ich mit dem Umkleiden nach der Sitzung auch die Rolle ablege und damit keine Pendenzen mit nach Hause nehme.

Als junger Student verwandelte mich ein weisses Hemd mit Fliege und schwarzem Gilet in den Chef meines Bereiches im Nachtclub, in dem ich als Kellner arbeitete. Meine Gäste wären nie auf die Idee gekommen, dass ich im Alltag ein introvertierter, leicht scheuer Student war. Eine Kundin erzählte mir, wie sie bei schwierigen Verhandlungen immer ihren roten Blazer anziehe. Und als Headhunter besass ich meine «Akquisitions-Krawatte», die ich mir vor jedem Kundenbesuch umband.

Nicht nur bei Kerzenlicht und romantischer Musik bringt uns angemessene Kleidung in die richtige Stimmung. Auch im Berufsleben verfehlt die passende Kostümierung ihre Wirkung auf unsere Selbstwahrnehmung und unser Verhalten nicht.

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