Das psychologische Experiment „Melodien klopfen“, beschrieben von Chip & Dan Heath im Buch «Made to stick», veranschaulicht einen der häufigsten Fehler im Bewerbungsgespräch: Das Voraussetzen von zu viel Wissen beim Gegenüber.
Die Übungsanordnung sieht folgendermaßen aus: Zwei Probanden bilden ein Team. Die eine Person klopft mit den Fingern auf dem Tisch den Takt einer Melodie. Die andere Person muss die Melodie erraten. So weit so unspektakulär.
Was denken Sie: Wie viele Melodien erkennen die zuhörenden Probanden aufgrund der Klopfzeichen ihrer Gegenüber? Genau diese Frage stellten die Forscher den Probanden vor dem Experiment. Die Schätzungen lagen nach vielen Wiederholungen des Experiments im Schnitt bei über 50%. In Wahrheit liegt die Erkennungsquote im niedrigen einstelligen Bereich. Worauf beruht diese eklatante Fehleinschätzung? Der Klopfer hört in seinem Kopf die Melodie, während er mit seinem Finger den Takt schlägt. Und er geht unbewusst davon aus, sein Gegenüber sei auf derselben Tonspur und höre das Gleiche wie er selber. Dabei bewegt sich sein Gesprächspartner in seiner eigenen geistigen Geräuschkulisse und hört nur Klopfzeichen.
Klopfanordnung Job-Interview
Als ich zum ersten Mal von diesem Experiment gelesen habe, musste ich schallend lachen. Es erinnerte mich an Bewerbungsgespräche. Bewerbende schildern ihre Geschichten oft in vergleichbarer Weise: Sie geben einige Anhaltspunkte und überlassen es ihrem Gegenüber, sich daraus ein Bild zu machen. Oder anders formuliert; sie geben einige Klopfzeichen von sich und lassen dazwischen riesige Löcher offen, die ihre Gesprächspartner mit Bedeutung füllen müssen. Wir nehmen meist nicht wahr, dass wir beim Erzählen einen inneren Film ablaufen sehen, den unser Gegenüber nicht sehen kann. Wir geben zu wenig Information, als dass sich unsere Gesprächspartner ein realistisches Bild machen können.
Nimm mich mit in Deinen Film
Verständlich zu kommunizieren setzt voraus, dass Sie Ihr Gegenüber abholen und in Ihre Welt mitnehmen. Wenn Sie mit einem kleinen Kind sprechen, tun Sie dies automatisch. Sie wissen, dass es noch zu wenig Erfahrungen hat, um sich aufgrund weniger Informationen ein Bild zu machen. Sie werden ihm daher genau schildern, was Sache ist. Erwachsenen gegenüber scheuen wir uns oft, das Gleiche zu tun. Wir möchten sie nicht mit zu viel Information langweilen oder sie für dumm verkaufen, indem wir ihnen scheinbar offensichtliche Dinge erzählen. Keine Sorge! Wenn es um Ihre Erlebenswelt geht, hat Ihr Gegenüber nie genügend Vorwissen.
Wenn Sie bei Ihrem nächsten Bewerbungsgespräch Ihre Interviewerin etwas verwirrt ansieht, hinterfragt sie möglicherweise nicht Ihre Aussagen. Es könnte einfach daran liegen, dass Sie weniger klopfen und mehr erzählen sollten.