Suchen Sie nicht Ihre Passion – lassen Sie sie entstehen

Viele Menschen suchen einen Beruf, für den sie Leidenschaft empfinden. Aber kann ich eine Passion suchen und finden, ohne mich mit dem Thema schon eingehend beschäftigt zu haben? Der Bierliebhaber, der in der Garage Obergäriges und Untergäriges braut, hat vermutlich beim ersten Schluck Bier seines Lebens angewidert die Nase gerümpft. Und ich als Opernfan konnte mir bei der ersten Aufführung nicht erklären, was es mit Liebe zu tun haben soll, wenn sich ein Paar auf der Bühne in höchsten Tönen anschreit.

Peter Näf

Die Leidenschaft dürfte beim Bierliebhaber mit der Zeit entstanden sein, als er durch «Übung» auf den verfeinerten Geschmack gekommen ist. Auch bei mir ist die Liebe zur Oper erst durch intensive Beschäftigung damit, über die Entwicklung meines Gehörsinns und durch Vermittlung eines fachkundigen Freundes gewachsen. Ich habe die Passion also nicht gesucht, sondern sie hat sich entwickelt.

Was bedeutet das nun für die Karriere-Gestaltung? Dazu eine meiner eigenen Karrieregeschichten.

Passion ist oft da, wo ich sie nicht erwarte

Nach elf Jahren als Personalberater und Headhunter machte ich mich vor vielen Jahren als Coach selbständig. Mein Business-Plan war wenig ausgereift. Wie viele meiner Bekannten in der gleichen Situation ging ich mit der Idee auf den Markt, mich jedweden Problemen im Coaching anzunehmen. Eines aber wusste ich genau: Ich wollte nichts mehr mit Job-Suche, Bewerbung, Lebensläufen oder Job-Interviews zu tun haben.

Mein Start als selbständiger Coach war recht ernüchternd. Ich hatte mir als Personalberater einen guten Ruf erarbeitet, aber dieses Vertrauen der Kundinnen und Kunden liess sich nicht in mein neues Betätigungsfeld übertragen. Der Not gehorchend habe mich dazu durchgerungen, unter anderem auch Bewerbungscoachings und Job-Interviewtrainings anzubieten. In diesen Themen hatte ich Glaubwürdigkeit im Markt.

Was ich als vorübergehend geplant hatte, entwickelte sich schliesslich zu einer Leidenschaft. Was war geschehen?

Erstens kommt es anders…

Ich entdeckte, dass in den Bewerbungsunterlagen mehr steckt als die Frage, ob und wo im Lebenslauf das Geburtsdatum hingehöre und ob man Zivilstand oder Hobbies erwähnen soll oder nicht. Und auch das Job-Interview ist mehr als das Einüben vermeintlich perfekter Antworten. Es geht stattdessen darum, wie Menschen sich und anderen ihre eigenen Geschichten erzählen, wie sie sich selbst wahrnehmen. Die dahinter liegenden Themen sind Selbstbewusstsein sowie Selbstmarketing über die Bewerbung hinaus. Und darin schliesslich habe ich eine Passion gefunden: Beratung meiner Kundinnen und Kunden zur Selbstwahrnehmung, Positionierung und schliesslich zu Kommunikation und Sprache.

Ich denke, viele Menschen verstehen als Passion das Buschfeuer der Verliebtheit und der anfänglichen Begeisterung. Echte Passion für ein Thema wächst aber wie die Liebe zu allem über die Zeit. Sie ist verbunden mit Freude, aber auch mit Rückschlägen sowie Enttäuschungen und oft gilt es, einfach dranzubleiben.

Lassen Sie sich also immer voll auf das ein, was Sie beruflich gerade tun, auch wenn es noch nicht das ist, was Sie langfristig tun möchten. Vielleicht entdecken Sie eine Leidenschaft genau da, wo sie diese am wenigsten erwarten. Denn schliesslich kommt auch der Appetit beim Essen.

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