Bewerbende verkaufen sich im Job-Interview oft dadurch, dass sie ausschliesslich von ihren Vorzügen sprechen. Ein vermeintlich makelloses Bild allerdings ruft bei Recruitern Widerstand hervor. Höchste Zeit also, sich mit dem Sarick-Effekt zu beschäftigen.
Adam Grant beschreibt in seinem Buch «Non-Konformisten» den nach der Soziologin Leslie Sarick benannten Effekt, gemäss dem Sie bei kritisch eingestellten Kunden Verkaufserfolge erzielen, indem Sie Argumente gegen das Produkt oder die Dienstleistung formulieren. Grant nennt das Beispiel eines Mannes, der ein Online Magazin und Blog für werdende Eltern aufbaute und Risikokapitalgeber gewann, indem er ihnen die fünf wichtigsten Gründe nannte, warum sie NICHT in sein Geschäft investieren sollten.
Nach zwei Jahren wollte er dieses an Disney verkaufen. Da der Verkauf über die Schwachstellen beim letzten Mal so gut funktioniert hatte, entschied er sich zu einer Wiederholung. Er hielt wiederum eine Verkaufspräsentation mit den wichtigsten Gründen, nicht auf das Geschäft einzusteigen. Disney hat es ihm daraufhin für 40 Millionen Dollar abgekauft.
Jede Investition hat Schwachstellen
Warum funktioniert der Sarick-Effekt? Alle Investitionen haben Vor- und Nachteile. Daher wollen potentielle Käuferinnen nicht nur die positiven Aspekte hören und suchen stattdessen nach Schwachstellen im Angebot. Normalerweise betonen Verkäufer nur das Positive und wollen den Eindruck erwecken, ihr Angebot hätte keine Nachteile. Das löst bei den Kundinnen Widerstand aus. Wenn nun der Verkäufer selber die Schwächen aufdeckt, bricht der Widerstand zusammen. Der Druck fällt weg, die Kundinnen entspannen sich und ein echtes Verkaufsgespräch kann stattfinden.
Stehen Sie zu Ihren Schwächen
Auch die Rekrutierung von Mitarbeitenden ist eine Investitionsentscheidung. Je nach zu besetzender Stelle geht es nicht nur um viel Geld; es kann auch der künftige Erfolg des Unternehmens davon abhängen. Bewerbende haben auch ihre Vor- und Nachteile, ihre Stärken und Schwächen. Und Recruiter sind kritisch eingestellte Gesprächspartner. Wenn Sie den Sarick-Effekt beherzigen, wird die viel gehasste Frage nach Ihren Schwächen zu einer Chance für ein erfolgreiches Bewerbungsgespräch.
Sprechen Sie Ihre Schwächen an und zeigen Sie auf, wie Sie mit diesen erfolgreich umgehen. Das schafft Vertrauen. Recruiter haben oft ein gutes Gespür für Menschen und möglicherweise haben sie Ihre Schwächen schon entdeckt. Wenn Sie diese von sich aus ansprechen, ermöglicht dies einen wirklichen Austausch über gegenseitige Erwartungen. Und selbstverständlich stellen Sie auch Ihre Stärken durch Storytelling ins rechte Licht!
Ich habe es als Interviewer mehrmals erlebt, dass sich Bewerbende durch ihre überzeugende Antwort auf die Frage nach ihren Schwächen für die nächste Interviewrunde qualifiziert haben.
Souveränität und Persönlichkeit zeigen sich im Annehmen der eigenen Schwächen und darin, mit diesen erfolgreich umzugehen.