Vom Segen schlechter Erfahrungen

Viele Menschen – ich bin einer davon – lassen sich von negativen Erfahrungen oft frustrieren und eine Zeitlang entmutigen; sie wünschen sich das Leben als stete Folge positiver Erlebnisse. Dabei sind es meist die schmerzhaften Brüche im Leben, die uns die Richtung weisen und die wir in der Rückschau nicht missen möchten, wie das folgende, persönliche Beispiel zeigt.

Peter Näf

Mein Karriereeinstieg nach dem Studienabschluss war holprig und mühsam. Ich hatte mich mehr aus Verlegenheit als aus Überzeugung für einen zahlenorientierten und administrativen Job entschieden. Zudem arbeitete ich beim ersten Arbeitgeber in einem Umfeld, in welchem ein rauer Umgangston herrschte und in dem ich mich ausgesprochen unwohl fühlte. Ich entwickelte gesundheitliche Probleme und nach acht Monaten stellte mich mein Arzt vor die Wahl: «Entweder Sie kündigen die Stelle oder Sie werden in Kürze ein Magengeschwür haben». Ich kündigte die Stelle und war entmutigt nach diesem missratenen Karrierestart.

Die Auswertung der Erfahrung zählt

Leider hat diese eine Erfahrung noch nicht ganz gereicht: Ich brauchte noch weitere vier Jahre in einem unpassenden Job, diesmal allerdings in einem sympathischen Arbeitsumfeld, um mich zu einer Änderung meiner Karrierestrategie zu bewegen. In der Rückschau waren diese beiden schmerzhaften Erfahrungen entscheidend für meine weitere Karriere. Ich habe aus der Not heraus eine Standortbestimmung gemacht und realisiert, dass ich mir einen Beruf aussuchen sollte, der auf meinen Talenten beruht und ein Umfeld, in welchem ich mich wohl fühle. Ich hatte damit in jungen Jahren die Chance an Erfahrungen zu lernen, mit denen andere manchmal erst später in ihrer Karriere konfrontiert werden.

Und nicht zuletzt haben mich diese Erlebnisse für die Tätigkeit sensibilisiert, die ich heute mit Freude ausübe: Menschen dabei begleiten, berufliche Zufriedenheit zu finden. Dankbarkeit für diese wegweisen-den Erfahrungen habe ich leider erst viel später empfunden. Viele Jahre verfolgte mich das Gefühl von Misserfolg und ich lastete mir die Erlebnisse als persönliches Versagen an.

«Misserfolge» ergeben gute Geschichten!

Ich kann nun wirklich nicht behaupten, dass ich negative Erfahrungen und Misserfolge inzwischen herzlich willkommen hieße. Nach wie vor wettere ich anfangs gegen die bösen Mächte des Schicksals und fühle mich vom Glück schändlich vernachlässigt und überhaupt ganz ungerecht behandelt, wenn die Dinge nicht so laufen, wie ich es mir in den Kopf gesetzt habe. Aber ich schaffe es immer öfter und oft auch früher, nach möglichen Chancen und Hinweisen zu suchen, was ich an meiner Situation ändern könnte und wo möglicherweise ein Umdenken angezeigt wäre.

Es sind übrigens genau diese Geschichten, die sich fürs Storytelling zum Selbstmarketing besonders gut eignen – wenn wir sie eben nicht als Misserfolgs-, sondern als persönliche Entwicklungsgeschichten interpretieren und erzählen. Mit solchen Erlebnissen können sich alle identifizieren, denn es ist mir bisher noch niemand begegnet, der/die nicht durch allerlei Schaden klüger geworden wäre.

Und Hand aufs Herz: Würden Sie ins Kino gehen, um makellosen Heldinnen und Helden dabei zuzusehen, wie sie souverän und vom steten Wind reinen Glücks beflügelt ihren hindernisfreien Alltag meistern?

#karriere, #standortbestimmung, #coaching