50plus (selbst-)unterschätztes Potential

Viel ist von den Chancen der Generation 50plus auf dem Arbeitsmarkt die Rede: Arbeitgeber müssten umdenken und dieses Potential im Zuge des Fachkräftemangels nutzen. Einverstanden! Nur müssten auch viele der Betroffenen selber mehr an sich glauben und ihre Vorzüge aufzeigen.

Peter Näf

Einer meiner ersten Kunden in einem Outplacement war ein erfolgreicher, 50-jähriger Finanzspezialist. Er war mir aus meiner Zeit als Headhunter vom Namen her bekannt und er genoss einen hervorragenden Ruf. Umso erstaunter war ich über das Ausmaß seiner Verzweiflung wegen der Kündigung aufgrund der Schließung der Abteilung. Er war der Überzeugung, niemand werde ihn mehr einstellen; schliesslich sei er 50 und eigentlich hätte er ja gar nichts Besonderes zu bieten.

Ein Fall von Impostor-Syndrom

Nun ist es nicht außergewöhnlich, dass Menschen durch den Schock aufgrund einer unerwarteten Kündigung in eine Krise geraten. Mein Kunde war aber über längere Zeit nicht davon zu überzeugen, dass er etwas zu bieten hätte und sein Know-how gefragt wäre.

Worauf basiert diese Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten, speziell bei Menschen 50plus? Ich kann es mir nur anhand des Kompetenz-Entwicklungsmodells erklären. Gemäß dieser Betrachtung wachsen wir aus dem Zustand der unbewussten Inkompetenz – wir wissen nicht, dass wir etwas nicht können – in den Zustand der bewussten Inkompetenz. Damit sind wir bei neuen Herausforderungen konfrontiert. Dies treibt uns an, die Kompetenzen durch praktische Erfahrung sowie Weiterbildung zu entwickeln. Haben wir Fähigkeiten und Wissen erworben, sind wir bewusst kompetent. Wenden wir die Kompetenzen immer und immer wieder an, funktionieren wir zunehmend automatisch und damit unbewusst. Der Finanzspezialist in meinem Beispiel war seit über 20 Jahren in seinem Fachbereich tätig und entsprechend routiniert. Er hat seine Kompetenzen immer mehr als selbstverständlich und als nichts Besonderes wahrgenommen.

Storytelling stärkt das Selbstbewusstsein

Die folgende Erfahrung machen wohl die meisten Menschen 50plus, wenn sie mit jungen Menschen konfrontiert sind: Sie sehen deren Fähigkeiten, die sie selber nicht mehr im gleichen Ausmaß haben (können): Schnelligkeit, rasche Auffassungsgabe, viel Energie, Offenheit für Neues, vertrauter Umgang mit neuen Konzepten und Tools, etc. Wenn sie gleichzeitig ihre eigenen Kompetenzen, die sie erst durch Erfahrung erworben haben, z.B. Geduld, Weitblick, Erkennen von komplexen Zusammenhängen, Durchhaltewillen, etc., nicht erkennen, kommen sie sich unweigerlich defizitär vor.

Die Entwicklung von bewusster zu unbewusster Kompetenz verläuft weitgehend unbemerkt. Daher ist es wichtig, Gegensteuer zu geben. Mit Storytelling sich seiner eigenen Stärken bewusst zu werden, ist ein hilfreiches Mittel, wenn es regelmäßig angewandt wird.

Und es ist wichtig, Stellen zu suchen, die den heutigen Fähigkeiten entsprechen und anzuerkennen, dass wir für gewisse Aufgaben nicht mehr in Frage kommen.

Schliesslich würden Sie sich als 50plus im sportlichen Wettbewerb mit Jüngeren nicht auf 100 Meter Sprint einlassen, sondern einen Marathon vorziehen, bei welchem Sie nicht mehr mit jugendlichem Elan, dafür mit dem Pfund Ihrer Erfahrungen wuchern können.

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