Eine gute Bewerbung ist komprimierte Zeit

Im Bewerbungscoaching zeigte mir ein Kunde sein Motivationsschreiben, ein dicht beschriebenes Blatt ohne sichtbare Struktur, mit schmalem Rand und ohne Angabe des Adressaten, des Absenders sowie des Betreffs. Er hatte lediglich 15 Minuten für das Verfassen aufgewendet. Was denken Sie: Wie viel Zeit hätte ich investieren müssen, um dieses Schreiben zu lesen und zu verstehen?

Peter Näf

Ich schätze den Zeitaufwand auf mindestens 10 Minuten, wenn ich nicht gestört würde; bei den unvermeidlichen Unterbrechungen im Berufsalltag benötigte ich allerdings schnell 20-30 Minuten – Zeit, die niemand zur Verfügung hat.

Ein anderes Bespiel: Mein bisher talentiertester Bewerber war der Head of Communications eines grossen Unternehmens. Als schreibgeübter Kommunikationsprofi benötigte er rund zwei Stunden für seine Motivationsschreiben. Diese umfassten im Vergleich nur rund einen Viertel des Textes, hatten eine nachvollziehbare Argumentation und waren sauber strukturiert. Ich konnte sie in zwei Minuten lesen und problemlos verstehen.

Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden Motivationsschreiben? Komprimierte Zeit!

Gute Kommunikation ist aufwändig…

Der Journalist Constantin Seibt bezeichnet die Ware des Journalismus als komprimierte Zeit und bringt den Sachverhalt in seinem Buch «Deadline» wie folgt auf den Punkt: «Wenn ich als Journalist die grundsätzlichen Fakten für einen Artikel zusammenhabe, rechne ich mit einem Schreibtempo von 1000 Zeichen die Stunde. Diese 1000 Zeichen lesen Sie in knapp einer Minute weg.»

Dies lässt sich auf das Verfassen von Bewerbungsunterlagen übertragen. Dabei wird auch deutlich, dass ein Grossteil der Arbeit bereits vor dem Verfassen des Motivationsschreibens anfällt: Die Auseinandersetzung mit der Stelle sowie den eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen; das Zusammentragen der grundsätzlichen Fakten. Und beim Schreiben konkretisieren die Bewerbenden im Ringen mit der Formulierung ihre Gedanken zusätzlich.

Betrachten Sie Bewerbung daher nicht als lästige Pflichtübung, sondern als lehrreiche Zeit, in welcher Sie Ihr berufliches Profil schärfen.

…und zeugt von Respekt für die Adressaten

Das Gleiche gilt für Ihre gesamten Bewerbungsunterlagen. In der Vorbereitung von Bewerbungscoachings brauche ich manchmal bis zu einer Viertelstunde Zeit, um die Bewerbung eines Kunden einigermassen zu verstehen. Ich muss das Bewerberprofil mithilfe des Lebenslaufes, des Motivationsschreibens und der Zeugnisse rekonstruieren – ein wahres Puzzle-Spiel. Und trotzdem bleiben meist viele Fragen offen.

Wenn Sie als Verkäufer eine teure Investition verkaufen möchten, würden Sie ihren Kunden niemals diese Arbeit aufbürden! Und seien Sie sich bewusst: Auch Sie als Bewerberin sind für die Unternehmen eine teure Investition.

Daher gilt beim Bewerben folgender Grundsatz: Die Zeit, welche Sie durch ein unsorgfältiges Vorgehen einsparen, bürden Sie den Recruitern als Mehrarbeit auf. Dies natürlich nur unter der Voraussetzung, dass diese bereit sind, die Zeit dafür zu investieren!

Oder um es in den Worten des Doyens der deutschen Sprache, Wolf Schneider auszudrücken: «Einer muss sich immer plagen – der Schreiber oder der Leser.» Und trotz Fachkräftemangels rate ich Ihnen dringend davon ab, Recruiter zu plagen.

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