Erzähl mir auch, was ich schon weiß!

Gehen Sie im Bewerbungsgespräch auch davon aus, dass die Recruiter Ihre Unterlagen studiert und verstanden haben? Dann sind Sie in guter Gesellschaft; die meisten Bewerbenden erwarten dies. Nichtdestotrotz rate ich dringend von dieser Annahme ab!

Peter Näf

Es hat Jahre gedauert, bis mir die folgende Kommunikationsfalle erkannt habe: Ich arbeitete mit einem Kunden im Outplacement. Wir haben eine Standortbestimmung durchgeführt, Bewerbungsunterlagen erstellt, Storytelling geübt und schliesslich ein Job-Interview simuliert. Im Verlauf dieses Gesprächs erzählte er mir von einer bestimmten beruflichen Erfahrung. Auf einmal fehlte mir zum Verständnis eine Information von der ich wusste, dass ich sie habe, weil er mir schon einmal davon erzählt hatte.

Verlieren Sie Ihre Gesprächspartner nicht!

Da mein Kunde dies auch wusste, hat er die Information einfach weggelassen. Was passierte also bei mir? Ich suchte in meiner Erinnerung das fehlende Glied in der Kette, um damit mental seine Schilderungen zu ergänzen. Während dieser Zeitspanne war ich im Gespräch abwesend – mein Gesprächspartner hatte mich verloren.

Das Gleiche passiert, wenn Bewerbende im Job-Interview davon ausgehen, die Recruiter hätten ihre Bewerbungsunterlagen studiert und verinnerlicht. Wenn sie dann unvollständig kommunizieren, switchen die Interviewenden hin und her zwischen dem Gespräch und den eigenen Erinnerungen aus dem Studium der Bewerbungsunterlagen, um die Ausführungen des Gegenübers zu ergänzen. Dies ist – falls sie sich überhaupt die Mühe machen – ermüdend. Wertvolle Informationen gehen durch geistige Abwesenheit der Interviewenden im Gespräch verloren.

Gute Kommunikation ist immer vorbereitet

Eine Analogie: Wie funktioniert ein guter Film? Wenn Sie ihn verstehen, ohne darüber nachzudenken, dann hat die Regisseurin ihre Hausaufgaben gemacht. Gutes Storytelling in Film und zwischenmenschlicher Kommunikation holt die Adressaten ab und führt sie, ohne dass sie es merken, in die eigene Welt ein. Dabei vermittelt es immer genau die Informationen, die zum momentanen Verständnis benötigt werden: Eine kleine Erinnerung hier, eine Wiederholung da, zwischendurch eine kurze Erklärung – und Ihre Gesprächspartner lauschen Ihnen entspannt als säßen sie im Kinosessel.

Ich arbeite ab und zu mit Kommunikationsspezialistinnen und -spezialisten zusammen. Dabei bin ich immer wieder beeindruckt, dass sie in der Kommunikation nichts dem Zufall überlassen und sich an den Grundsatz halten: Gute Kommunikation ist vorbereitete Kommunikation! Wenn wir schriftlich kommunizieren, machen wir das automatisch. Beim Korrekturlesen fallen uns die kleinen kommunikativen Leerstellen auf. Wir realisieren, wenn ein Bezug nicht stimmt oder unklar ist, von wem gerade die Rede ist und wir korrigieren entsprechend. Diese Mehrarbeit müssen wir auch in der mündlichen Kommunikation auf uns nehmen, wenn es um etwas wichtiges geht.

Oder in Abwandlung einer Aussage über schriftliche Kommunikation von Wolf Schneider (Buch: Deutsch für Kenner): Einer muss sich immer plagen, entweder der Sprecher oder der Zuhörer. Als Bewerber oder Bewerberin rate ich Ihnen, die Plage zu übernehmen!

#job-interview #bewerbung #selbstmarketing