Und immer noch Idioten, wohin das Auge reicht…

Im Artikel «Umgeben von Idioten» habe ich über unsere Schwierigkeit mit Unterschiedlichkeit – Diversität – geschrieben. Dazu beobachte ich immer wieder, dass Coachees sich über Unzulänglichkeiten anderer aufregen und gleichzeitig ihre eigenen Stärken nicht als solche wahrnehmen. Dies führt nicht nur zur Geringschätzung von anderen, sondern vor allem auch von sich selbst.

Peter Näf

Eine Kundin ärgerte sich über ihren Vorgesetzten, mit dem ein konstruktiver Austausch nicht möglich sei. Sie legte ihm zur Last, dass er die Realitäten des Marktes nicht kenne und sich abgeboben und theoretisch äussere. Meine Kundin war Produkt Managerin in einem technischen Gebiet. Sie pflegte intensiven Kontakt zu ihren Kunden und wusste, wo deren Schuh drückt. Von ihrem Vorgesetzten hörte sie verschiedentlich den Vorwurf, es fehlte ihr die Fähigkeit, strategisch zu denken.

Einzelfall-Sicht versus strategische Sicht

Solchen Kommunikationsproblemen begegne ich oft im Coaching. Dahinter können unterschiedliche Karriereverläufe der Beteiligten stehen: Meine Kundin hatte eine Berufslehre gemacht und Ihr Handwerk von der Pike auf gelernt. Sie hat sich an Fachhochschulen sowohl technisch als auch betriebswirtschaftlich weitergebildet.

Ihr Vorgesetzter verfügte über einen akademischen Werdegang mit Uni-Abschluss und jahrelanger Erfahrung in der Beratung. Von meiner Kundin wusste ich aufgrund ihrer Erfolgsgeschichten, dass sie einen guten Blick für den Einzelfall besass, Kundenprobleme individuell wahrnahm und massgeschneidert darauf reagierte.

Ich hatte daher viel Verständnis für Ihre Sichtweise und etwas weniger für die ihres Vorgesetzten, bis ich mit meiner Kundin erlebte, was im Coaching ein Parallelprozess genannt wird.

Die eigenen Grenzen sehen

Für die Persönlichkeitsanalyse meiner Coachee verwende ich das Wertequadrat von Schulz von Thun. Damit lassen Stärken, Schwächen und persönliche Entwicklungsfelder darstellen. Jedes Mal, wenn ich einen Zusammenhang aufzeigte, erzählte meine Kundin ein konkretes Bespiel, welches sie in der Auswertung vermerkt haben wollte. Das Modell aber erfordert, auf die Metaebene zu gehen. Denn erst aus der Distanz erkennen Coachees, dass es sich bei ihren Eigenheiten nicht um Einzelereignisse, sondern um persönliche Muster handelt.

Ich wurde ungeduldig und sah mich auf einmal in der Position ihres Vorgesetzten, der versucht, sie vom Einzelfall wegzubringen, um Sachverhalte auf einer höheren Abstraktionsebene anzusehen. Wir analysierten anhand unseres Konfliktes, worin ihr Konflikt mit dem Vorgesetzten bestand. Sie erkannte, dass ihr Vorgesetzter über einen guten Gesamtblick und über strategische Fähigkeiten verfügte, die in seiner Funktion erforderlich waren. Vor allem aber konnte sie ihren eigenen Blick für den Einzelfall als persönliche Stärke anerkennen, was sie bisher als selbstverständlich erachtete.

Wenn Sie sich das nächste Mal über eine Unzulänglichkeit anderer Menschen ärgern, klopfen Sie sich stattdessen auf die Schulter. Freuen Sie sich über Ihre Stärke, anstatt sich darüber zu ärgern, dass Ihr Gegenüber diese nicht hat.

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