Viele Menschen haben Mühe mit Situationen, die Bill Burnett in «Designing your life» als «Gravity Problems» beschreibt. Gemeint sind Gegebenheiten, die wir – wie die Schwerkraft – nicht verändern können und die deshalb keine echten Probleme sind. Die Herausforderung im Alltag besteht darin, «Schwerkraftprobleme» als solche zu erkennen.
Ein Kunde im Outplacement war Geschäftsführer eines mittelgrossen Unternehmens. Bei seinem Stellenantritt war die Firma in Schieflage, die er mit viel Geduld wieder auf Erfolgskurs brachte. Die Eigentümer entschieden sich dennoch, das Unternehmen mit einer anderen Firma zu fusionieren. Er hielt das für einen grossen Fehler und wehrte sich erfolglos dagegen. Mit der neuen Strategie nicht einverstanden, kündigte er schliesslich.
Offene Kommunikation funktioniert am besten
Ich fand sein Verhalten nachvollziehbar und konsequent. Seine Erfolge und die Gründe für den Stellenwechsel liessen sich im Bewerbungsgespräch gut kommunizieren.
Als wir die Argumentation des Kündigungsgrundes für die Job-Interviews besprachen, tat er sich jedoch schwer, seinen Weggang zu erklären. Er wand sich und fühlte sich sichtlich unwohl. Ich schlug ihm eine Argumentation vor, die den Tatsachen entsprach und ihn zugleich positiv erscheinen liess. Mein Kunde war zufrieden und ich ging davon aus, das Thema sei damit erledigt.
Nur Probleme sind lösbar
In einem späteren Job-Interviewtraining verhedderte er sich dann aber komplett bei der Frage nach dem Kündigungsgrund. Ich war überrascht, da dieser für mich nachvollziehbar und unproblematisch war. Schliesslich fragte ich ihn, ob er sich wegen des Geschehenen Vorwürfe mache.
Er äusserte seine Verbitterung darüber, die Entscheidungsträger nicht von seiner Sicht überzeugt zu haben. Obwohl er nicht in der Position war, über die Fusion zu entscheiden, fühlte er sich dafür verantwortlich.
Doch unterschiedliche Zukunftssichtweisen sind kein Problem, sondern allenfalls ein Dilemma. Es gibt keine eindeutig richtige Antwort, sondern verschiedene Einschätzungen. Selbst im späteren Rückblick auf die Entwicklung des Unternehmens nach der Fusion wird kaum eindeutig zu beurteilen sein, welche Entscheidung die bessere gewesen wäre.
Die Kunst besteht darin, solche «Schwerkraftprobleme» zu erkennen und anzunehmen – ganz im Sinne des bekannten Stossgebets: «Gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.»
Oder weniger pathetisch: Irgendwann müssen wir unsere Learnings mitnehmen und Erlebnisse abbuchen – oft auf dem Konto «Shit happens».
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